1194 - Lady Sarahs Horror-Trip
ihr auch nichts mehr ausmachte, da sie die beiden auf ihrer Seite sah.
Stumm ging sie an den feinstofflichen Gestalten vorbei. Ein Blick in die Gesichter zeigte keinerlei Veränderungen. Auch von der Körperlichkeit her nahmen sie nicht an Dichte zu. Sie blieben durchscheinend und wirkten trotzdem auf eine gewisse Art und Weise kompakt.
Der alte Mann hatte seinen Kopf gedreht, um Lady Sarah einen letzten Blick zu schenken. Auch sie konnte nicht einfach zur Seite schauen, und dabei stieg immer stärker der Eindruck in ihr hoch, dass diese Erscheinung ihr doch nicht so unbekannt war. Sie musste den Mann schon mal gesehen haben, was allerdings sehr lange zurücklag.
Er hob die Hand.
Er lächelte sogar.
Ein Gruß, den Lady Sarah gequält lächelnd zurückgab und sich dann der Tür zuwandte. Noch hatte sie ihre Schritte nicht beschleunigt. Es war ihr einfach nicht möglich gewesen. Wenig später aber lag die Diele hinter ihr, und sie verließ endlich das Haus.
Die andere Welt war da. Die normale, die Lady Sarah mit Wind und Kälte begrüßte. Als sie das spürte, hätte sie jubeln können, denn sie kam sich vor wie jemand, der dem Tod im allerletzten Augenblick von der Schaufel gesprungen war.
Die Sackgasse war noch immer leer. Sie schaute zwei Mal hin, um überhaupt zu begreifen, dass sie es geschafft hatte. Dann ging sie einfach nur geradeaus. Sie blieb dabei auf der Mitte der Straße.
Manchmal schwankte sie auch. Deshalb war sie froh, den Stock als Stütze zu haben. Der frische Wind klärte ihren Kopf. Er wehte die Angst weg, aber nicht die Erinnerungen.
Sie war eine Frau, die immer gewusst hatte, was sie wollte. In dieser Situation war alles anders geworden. Der klare Blick war ihr genommen worden, sie wollte nur so weit wie möglich weg, bevor die beiden Männer sie verfolgten.
Sie fand einen schmalen Weg, der wie eine Schneise zwischen zwei Grundstücken in westliche Richtung führte. Auch hier war sie allein. Rechts und links standen die kahl gewordenen Hecken, die sich später noch mehr lichteten. Sie entdeckte eine Bank, deren Beine verrostet waren und deren Sitzfläche von einem feuchten Schmutzfilm bedeckt war, auf dem noch einige Blätter klebten.
Es war gewissermaßen die Rettung für Sarah. Sie musste sich einfach hinsetzen und ausruhen. Es war zuviel für sie gewesen, und als sie saß, atmete sie auf.
Mit dem Rücken stieß sie gegen die Lehne. Ihr Herzschlag hatte sich wieder beschleunigt. Außerdem schwitzte sie, und die Haut im Gesicht zeigte sich gerötet. Sie hörte sich selbst schnaufend atmen, und sie wusste, dass sie noch etwas warten musste, bevor sie das in Angriff nahm, was sie sich vorgestellt hatte.
Haarscharf war sie mit dem Leben davongekommen. Keiner der beiden Männer hätte gezögert, sie eiskalt zu erschießen.
Allein kam sie nicht weiter. Jane Collins konnte ihr auch nicht helfen. Dafür ein anderer. Und wieder mal sah sie das schmale Handy als einen Segen an.
Ihre Finger zitterten, und sie hatte Mühe, die Zahlen zu drücken. Aber sie schaffte es, sich zusammenzureißen, und als sie dann die Stimme des Mannes hörte, da hätte sie vor Erleichterung und Freude beinahe geweint…
***
Sarah Goldwyns Anruf hatte Suko und mich alarmiert und uns an diesem trüben Januarmorgen hellwach werden lassen. Die Horror-Oma hatte nicht viel gesagt, doch die wenigen Worte hatten ausgereicht, um uns schnell handeln zu lassen.
Wir würden sie im Freien auf einer Bank sitzend finden. Den Weg hatte sie uns genau beschrieben.
Suko lenkte den Rover. Ich saß neben meinem Freund und konnte mich über Sarah ärgern.
»Sie schafft es immer wieder, sich in die Bredouille zu bringen«, regte ich mich auf. »Dabei hat sie uns versprochen, kürzer zu treten und ihre Nase aus bestimmten Dingen herauszuhalten, deren Geruch tödlich werden kann.«
Suko nahm es lockerer. »Sieh es einfach als Schicksal an, John. Nicht mehr und nicht weniger. Außerdem - wer von unseren Freunden ist denn schon normal? Ich bin es irgendwie nicht und du auch nicht. Also lassen wir mal alles so laufen.«
»Trotzdem.«
»Jane Collins hat auch die Gabe. Die Conollys ebenfalls.«
Das stimmte alles. Dennoch ärgerte ich mich und machte mir Sorgen um Lady Sarah. Im Laufe der Jahre war sie mir wirklich ans Herz gewachsen, und auf derartige Horror-Trips konnte sie verzichten. Aber nein, es ging immer weiter, als hätte das Schicksal ihr eine besondere Position im Kreislauf des Lebens eingeräumt. Wovon wir auch nicht
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