12 – Das Raetsel von Chail
Abreibung zu verpassen. Eine dritte Gruppe wollte sich damit begnügen, den Handel mit den Dörflern zu unterbinden; da Syrgan in seiner Versorgung ziemlich autark war, brachte das keine oder nur unwesentliche Nachteile für die Stadt. So unterschiedlich die Ansichten auch waren – von friedlicher Koexistenz sprach in diesem Kreis niemand.
Befriedigt wandte Crusok sich ab. Umgeben von seinen Vertrauten kehrte er ins Haus zurück.
Diese Vertrauten, die ständig in der Nähe des Chailiden lebten, waren in Wahrheit nichts anderes als eine Art Diener für ihn. Sie sorgten für ihn, betreuten das Haus und verrichteten Handlangerdienste. Zwar lebten sie unter seinem Dach, doch sein Geheimnis teilten sie nicht mit ihm.
Wie immer, wenn Crusok sich in den nach Norden ausgerichteten geschlossenen Meditationsraum begab, zogen sich die »Vertrauten« respektvoll zurück. Es war ihnen eine Selbstverständlichkeit, den Raum während der Meditationsphase nicht zu betreten und alle Störungen von ihrem Herrn und Meister fernzuhalten.
Ächzend zog der Chailide den Lederumhang aus und rieb sich mit einem Tuch den Schweiß ab. Was bei wirklich meditierenden, älteren Planetariern dazu diente, den Körper während der langen Meditation vor Auskühlung zu bewahren, war bei ihm lediglich Staffage. Nach jedem Auftritt war er froh, sich des schweren Kleidungsstücks entledigen zu können.
Genüsslich leerte er einen Krug mit Most, dann verzehrte er einige Früchte. Allmählich gewann er Abstand von den Geschehnissen. Nach einigen Minuten der Entspannung war er in der Lage, sich voll zu konzentrieren und seine Kraft einzusetzen. Und wie immer verletzte er dabei das zwar ungeschriebene, aber eherne Gesetz aller Meditierenden.
Ein Chailide, der zu meditieren begann, konzentrierte sich anfangs auf seine Artgenossen; es war gewissermaßen eine Trainingsstufe. Dabei war es eine unumstößliche Regel, dass aus den zwangsläufig aufgefangenen Informationen über private Angelegenheiten keinerlei Nutzen gezogen wurde, eine Art Gedankenkontrolle war verpönt.
Jeder Meditierende hielt sich an diesen Kodex, doch Crusok hatte damit nichts im Sinn. Er schaffte es gerade noch, das zu erkunden, was die in seiner Nähe lebenden Artgenossen bewegte – und er machte von dieser Möglichkeit reichlichen Gebrauch. Er benutzte die Kenntnis der intimen Gedanken seiner Mitbürger, um Macht zu gewinnen – persönliche Macht.
Wie immer erforschte er zunächst die Gedanken seiner »Vertrauten«, fand aber nichts, was sich verwerten ließ. Sie beschäftigten sich ausschließlich mit seiner Person und seinen Thesen.
Schon wollte er den Radius seiner Kraft vergrößern und auf die Umgebung des Gebäudes ausdehnen, als er die Gedanken eines Mannes ertastete, der sich im Haus aufhalten musste. Mit der ihm eigenen Unverfrorenheit drang er in die Intimsphäre des Besuchers ein.
Der Mann war gekommen, um sich einen Rat zu holen. Obwohl er und seine Gefährtin deren Schwangerschaft geheim gehalten und nicht die Hütte eines Uralten aufgesucht hatten, war das Neugeborene kurz nach der Geburt verschwunden, dafür lag ein Findelkind vor der Tür. Er konnte sich das nicht erklären, hatte aber die Uralten in Verdacht und hasste sie dafür.
Crusok rieb sich die Hände. Natürlich wusste er nicht, wie die Uralten es anstellten, ein Kind spurlos verschwinden zu lassen, doch das war auch nicht so wichtig. Er konnte dem Mann ohnehin nicht helfen, aber er war für seine Zwecke brauchbar.
Crusok beschloss, die für ihn ziemlich anstrengende Meditation abzubrechen und den Besucher zu empfangen.
Er zog wieder den ledernen Umhang an und verließ das Zimmer, dabei gab er sich Mühe, entrückt zu wirken. Unsicher stolperte er voran und tat, als würde er die dienstbaren Geister, die vor der Tür gewartet hatten, überhaupt nicht bemerken. Wie ein Schlafwandler ging er auf den Raum zu, in dem der Chailide wartete. Als Crusok eintrat, erhob er sich.
»Mein Name ist Maton. Ich möchte einen Rat von dir, Crusok.«
Der Meditierende gab sich den Anschein, als holte der Klang der Stimme seine Gedanken aus weiter Ferne zurück. Er blinzelte und musterte den Sammler, als sehe er zum ersten Mal einen Artgenossen. Stumm bedeutete er Maton Platz zu nehmen und ließ sich selbst auf einen Hocker sinken.
»Du hast ein Problem?«
»Woher weißt du das?«, fragte Maton überrascht.
»Jeder, der mich aufsucht, benötigt Rat oder Hilfe«, gab Crusok würdevoll zurück. »Also, was
Weitere Kostenlose Bücher