12 Stephanie Plum: Kalt erwischt (Twelve Sharp)
Ich dachte, das könnte dich vielleicht interessieren.«
»Ich komme sofort.«
Ich setzte mich auf die Bettkante und rief Morelli an. »Was Neues?«
»Nein. Der Kerl ist ein Meister im Verschwinden.«
»Ich glaube, es gibt einen Grund dafür, dass ihm alles gelingt. Er denkt weit voraus und handelt dann schnell. Er saß schon in der Maschine Richtung Norden, bevor in Miami überhaupt die Fahndung rausgegeben war. Die Tiefgarage hatte er, mit mir im Kofferraum, längst wieder verlassen, bevor jemand merkte, dass mein Notsender liegen geblieben war. Er hatte ein Fluchtauto bereitgestellt, um von hier wegzukommen. Und ich wette, dass er genau gewusst hat, wohin er will.«
»Die meisten Leute würden in so einer Situation einfach immer weiterfahren. So viel Distanz zwischen Punkt A und Punkt B schaffen wie möglich.«
»Er hat davon gesprochen, nach Mexiko zu gehen und ein neues Leben anzufangen. Aber ich glaube, das kann er nur machen, wenn seine Fantasievorstellung in Erfüllung gegangen ist. Und dazu muss er erst Ranger beiseiteschaffen.«
»In dem Punkt kann ich mich mit ihm identifizieren«, sagte Morelli.
Ich warf Morelli aus der Leitung und rief Ranger an.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich ihn.
»Leidlich.«
»Erfolg gehabt?«
»Der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Bevor er den nächsten Schritt tut, muss er dich eliminieren.«
»Das haben schon viele versucht. Bisher ist es keinem gelungen. Erzähl mir von Julie!«
»Sie sah ein bisschen ungepflegt aus, aber ansonsten war sie okay. Sie ähnelt dir sehr. Tapfer und unverwüstlich. Sie sagte, er hätte sie nicht belästigt. Ich glaube, Frauen sind für Scrog wie Requisiten, die er sich zulegen muss, um seine Rolle spielen zu können. Ich glaube nicht, dass er ein Sexualtäter ist. Er hat sich eine eigene absurde Welt zurechtgelegt. Es ist, als würde er ständig in ein Spiel einsteigen und dann wieder aussteigen. Hin und her. Und Menschen, die ihm im Weg stehen, tötet er. Ich glaube, Julie ist bei ihm sicher aufgehoben. Jedenfalls für eine gewisse Zeit.«
»Hast du irgendeine Idee, wo er sich aufhalten könnte?«
»Ich glaube nicht, dass er weit kommt. Essen und etwas Geld besorgt er sich, indem er kleine Läden ausraubt. Er geht frühmorgens los und kommt mit ein paar Tüten Schokoriegel und Snacks zurück. Damit könnte man ihn vielleicht kriegen. Und er wird dir auflauern. Sonst fällt mir nichts mehr zu ihm ein.«
»Was hast du jetzt vor?«
»Nichts Besonderes. Ich bin gerade bei meinen Eltern, aber ich glaube, ich gehe heute Abend wieder in meine Wohnung. Morelli ist bei sich zu Hause, und du brauchst nicht mehr auswärts zu campieren. Ich wäre also wieder ganz allein mit Rex.«
»Wirfst du mich raus?«
»Ja.«
»Es gibt noch eine offene Frage zwischen uns«, sagte Ranger.
»Nicht nur eine. Nur mal so, aus morbider Neugier: Wie würdest du deine Rolle in meinem Leben bezeichnen?«
»Ich bin der Nachtisch«, sagte er.
»Also etwas, das ein Genuss ist, aber nicht unbedingt gut für mich.«
»Jedenfalls nie und nimmer Grundnahrungsmittel.«
Das ist genau der Punkt. Nachtisch ist für mich ein Grundnahrungsmittel!
In der einen Hand einen Beutel mit Essensresten von meiner Mutter, in der anderen einen Beutel mit frischen Kleidern, um die Schulter meine Umhängetasche, die ich im Mini hatte liegen lassen, als ich in den Honda Civic umgestiegen war. Schwer bepackt kramte ich die Schlüssel hervor, schloss die Tür zu meiner Wohnung auf und betrat den dunklen, stillen Flur. Ich manövrierte in die Küche und lud alles auf die Ablage.
Rex war in seinem Laufrad und lief und lief und lief. Ich tippte mit dem Finger an seinen Käfig und sagte Hallo. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Allein zu sein. Ranger hatte soeben auf nette Art mein Leben vereinfacht. Rechne nicht mit mir als Hauptgericht, Babe! Anständig von ihm, mir reinen Wein einzuschenken. Nicht dass ich es nicht längst geahnt hätte. Trotzdem ganz hilfreich, dass es mal ausgesprochen wurde.
Ich seufzte. Mach dir nichts vor, sagte ich mir. Es war überhaupt nicht hilfreich. Genauso nutzlos wie der Versuch, mein Leben wieder in normale Bahnen zu lenken; es half mir nicht im Geringsten, Julie aus meinen Gedanken zu verdrängen. Der Gedanke an das Mädchen war wie ein dumpfer Schmerz in meiner Brust. Der Schmerz war beständig und umso schlimmer, da ich keine blasse Ahnung hatte, wie ich bei der Suche nach Julie behilflich sein konnte. In meiner Rolle als Lockvogel
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