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12 Stunden Angst

12 Stunden Angst

Titel: 12 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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gewesen, der es ihm ermöglicht hatte, seine Kugel genau dorthin zu feuern, wohin er sie haben wollte. Doch das hier … es war der Alptraum eines jeden Scharfschützen.
    Er wollte nicht, dass die pulsierenden Flecken auf seine Seite des Hauses zurückkehrten. Falls doch, musste Carl den neuen Befehlen des Sheriffs zufolge selbst das Kommando zum Zerstören der Scheiben geben – und das bedeutete, dass er raten musste, welcher Fleck Dr. Shields war. Nach Zerstörung der Scheiben würde er mindestens eine Sekunde benötigen, um sein Ziel durch das Unertl-Scope zu erfassen und den Abzug zu betätigen – allerdings nur für den Fall, dass er sich nicht geirrt hatte und der Fleck tatsächlich Dr. Shields war. Wenn nicht, konnte die Zielerfassung weitere zwei bis drei Sekunden in Anspruch nehmen. Der eigentliche Schuss war in diesem Fall kinderleicht. Das Schwierige war die Erfassung des Zieles.
    Die Situation war wie gemacht für den Zugriff durch eine Kommandoeinheit, nicht für einen Scharfschützen. Delta Force, die SEALs, Force Recon, das Hostage Rescue Team des FBI – jede dieser Einheiten hätte Shields’ Familie schon vor Stunden aus dem Haus geholt, ohne ein einziges Todesopfer. Doch keine dieser Einheiten war vor Ort. Vor Ort waren Sheriff Ellis und Ray Breens Weekend Warriors. Carl hatte zusammen mit den Jungs in den schwarzen schusssicheren Westen trainiert. Sie mochten aussehen wie Elitesoldaten, doch sie waren keine. Die meistenhatten eine Reaktionszeit wie ein durchschnittlicher Kegelbruder, Lichtjahre entfernt von den blitzschnellen Reflexen eines Delta Force Operators. Trotzdem standen sie bereit, jeden Moment wild um sich feuernd das Haus zu stürmen, sobald Major McDavitt mit dem Hubschrauber abgehoben hatte. Die Worte des Majors wiederholten sich unablässig in Carls Kopf: Es gibt genau zwei richtige Soldaten hier vor Ort, und die sitzen beide unter diesem Dach. Wenn der Sheriff den Sturm auf das Haus befiehlt, sind Sie die größte Hoffnung, die Mrs. Shields und ihre Tochter haben, diese Nacht zu überleben. Sie allein. Verstehen Sie?
    Carl schloss die Augen und betete, dass der Major einen Weg fand, Shields zur Aufgabe zu überreden. Falls das nicht klappte, konnte er nur beten, dass die roten Flecken auf seine Seite des Hauses zurückkehrten. Alles andere würde in einer Katastrophe enden.
    Laurel stand vor dem Spülbecken der Kücheninsel, genau gegenüber von Warren und Beth, so wie Warren es ihr beim Durchtrennen der Fesseln an Händen und Füßen aufgetragen hatte. Beth saß auf einem Barhocker und hatte die Hände um einen großen Becher Milchkakao gelegt, den Warren in der Mikrowelle erhitzt hatte. Sie hatten nicht viel geredet, seit Beth sich wieder halbwegs beruhigt hatte – was einzig und allein Laurels plumpe Lügengeschichten bewirkt hatten, Daddy und Mommy würden ein »Erwachsenenspiel« spielen.
    Die Diskussionen mit Danny schienen Warren die letzten Kräfte gekostet zu haben. Oder der Schlafmangel forderte seinen Tribut. Laurel konnte sich nicht erinnern, jemals vierzig Stunden ohne Schlaf verbracht zu haben, außer vielleicht während der Abschlussexamen am College – und wahrscheinlich nicht einmal da. Warrens Nerven lagen blank; das leiseste Geräusch ließ ihn zusammenzucken, und er redete schnell und in abgehackten Sätzen. Laurel hatte beschlossen, sich auf Beth zu konzentrieren und jede Provokation zu vermeiden, koste es, was es wolle.
    Vorhin, als Danny mit seinem Helikopter über den Gartengeflogen war, hatte Laurel geglaubt, die Rettung stünde unmittelbar bevor. Doch dieser Gedanke hatte sie nicht mit Erleichterung oder gar Freude erfüllt. Schon bevor sie Dannys SMS erhalten hatte, in der er sie aufforderte, sich von den Fenstern fern zu halten, war in ihr die Gewissheit herangereift, dass der Preis der Freiheit Warrens Leben war. Als Warren zu einem der großen Fenster ging, um nachzusehen, was der Hubschrauber draußen machte, hatte Laurel sich bereits innerlich gegen den Anblick gewappnet, wie Warrens Kopf explodierte wie der von John F. Kennedy in Zapruders Film – ihr eigener Alptraum in Technicolor, ein Alptraum, der sie bis zum Tag ihres Todes verfolgen würde.
    Doch es war nichts geschehen. Es war, als hätten sie am Rand der Katastrophe gestanden und wären dann einen Schritt zurückgewichen.
    Beth glitt von ihrem Hocker und ging zu dem Tisch, an dem sie vor dreizehn Stunden gefrühstückt hatte. Für Laurel war die Erinnerung an diese Mahlzeit wie ein

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