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12 Stunden Angst

12 Stunden Angst

Titel: 12 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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hinter seinem linken Oberschenkel verborgen.
    »Bitte, Warren …«, sagte sie und zwang sich unter Aufbietung aller Kräfte, ihm in die Augen zu schauen. »Ich weiß nicht, was für ein Brief das ist. Ich habe ihn noch nie gesehen.«

5
    D u lügst«, sagte Warren.
    Laurel zitterte am ganzen Körper. Woher hatte er den Revolver? Er besaß ein Gewehr und eine Schrotflinte, doch soviel sie wusste, hatte es im Haus nie eine Handfeuerwaffe gegeben. Warren hielt den Revolver noch immer halb hinter demOberschenkel, als wollte er ihn vor ihr verstecken. Laurel beschloss, für den Augenblick so zu tun, als hätte sie die Waffe gar nicht gesehen.
    »Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest!«, sagte sie in gespieltem Zorn. »Was ist das für ein Schreiben?«
    Er schob ihr Dannys Brief hin. »Warum liest du nicht selbst?«
    Sie nahm das Blatt vom Tisch und überflog mit schwimmenden Augen jene Worte, die sie in- und auswendig kannte.
    »Laut, bitte«, verlangte Warren.
    »Was?«
    »Du sollst laut vorlesen.«
    Sie blickte auf. »Du machst Witze.«
    »Lies es laut vor, verdammt noch mal! Ich finde, die Worte klingen dann viel eindringlicher.«
    »Warren, ich …«
    »Lies!«
    Sie hatte Dannys letzten Brief so oft gelesen, dass sie ihn aus dem Gedächtnis wiedergeben konnte. Deshalb musste sie sich zwingen, beim Vorlesen nicht aufzublicken – ein Fehler, der sie das Leben kosten konnte. Mit monotoner, beinahe lebloser Stimme las sie:
    »›Ich weiß, dass die erste Regel bei einer Beziehung wie dieser lautet, niemals etwas aufzuschreiben. Doch in diesem Fall muss ich es tun. Ein flüchtiger …‹«
    »Du hast die Anrede vergessen«, sagte Warren kalt. »Was steht da?«
    Sie schluckte. »›Laurel.‹«
    »Sehr schön. Lies weiter.«
    »›Ein flüchtiger elektronischer Austausch ist nicht das geeignete Mittel. Es ist zwecklos, die Fakten noch einmal durchzugehen; das haben wir beide so oft getan, bis wir beinahe den Verstand verloren hätten. Doch ehe ich dir sage, was ich dir sagen möchte, will ich dich daran erinnern, dass ich dich liebe. Ich empfinde Dinge für dich, die ich nie zuvor für einen anderen …‹« Sie blickte auf und sagte mit der zornigsten Stimme, die sie zustande brachte: »Warren, das ist doch Schwachsinn! Woher hast du das?«
    Er starrte sie stumm an.
    »Hat dir jemand diesen Wisch gegeben?«
    Ein merkwürdiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich habe ihn in deiner Ausgabe von Stolz und Vorurteil gefunden. Aber das hast du sicher längst gewusst, oder?«
    »Ich weiß überhaupt nichts mehr! Ich sagte dir doch schon, ich habe diesen Brief noch nie gesehen!«
    Er schüttelte den Kopf. »Lügen bis zum bitteren Ende, wie? Ich hätte mehr von dir erwartet. Wo ist die rechtschaffene Frau, die immer nur andere kritisiert? Warum kannst du mir nicht die Wahrheit sagen, du Hure? Weil der Kerl dich hat sitzen lassen, nachdem er dich durchgefickt hat? Hast du Angst, ich verpasse dir einen Arschtritt, ohne dass du einen anderen hast, zu dem du rennen kannst, du Drecksstück?«
    Laurel konnte nicht glauben, welche Ausdrücke sie hörte. Und sie konnte nicht glauben, was sie sah. Die Waffe erschien ihr unwirklich in Warrens Hand – eine Verhöhnung all dessen, wofür er stand. Er hatte Waffen nie gemocht. Sicher, er wusste, wie man damit umging, aber das galt für jeden Mann, der in einer Kleinstadt im Süden der Vereinigten Staaten aufgewachsen war. Aber Warren war kein Waffennarr, in dessen Haus ein halbes Dutzend Gewehre und Revolver lagerten.
    Doch anders als die meisten anderen Menschen hatte Warren schon einmal eine Waffe benutzt, um seine Familie zu verteidigen.
    Und dabei hatte er einen Menschen erschossen.
    Warren war fünfzehn gewesen, als ein Herumtreiber in das Haus seiner Eltern eingebrochen war, um Wertgegenstände zu stehlen, die er verscherbeln konnte, um sich von dem Erlös Drogen zu beschaffen. Warren war wach geworden und nach unten geschlichen, wo ein bekiffter Teenager seinem Vater eine Pistole vor die Brust gehalten und Geld verlangt hatte. Ohne nachzudenken, war Warren ins Elternschlafzimmer gehuscht, hatte den geladenen .45er seines Vaters aus dem obersten Fach im Kleiderschrank genommen und war wieder zum Wohnzimmer gerannt,wo er dem schimpfenden und fluchenden Junkie eine Kugel in den Rücken jagte. Warren hatte dem Jungen keine Warnung zugerufen, und er hatte auch nicht die 911 gewählt – er hatte seine Eltern in tödlicher Gefahr gesehen und geschossen, um sie zu retten.
    Die

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