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12 Stunden Angst

12 Stunden Angst

Titel: 12 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Polizei sah die Sache genauso.
    Wenige Stunden nach dem Vorfall war Warren Shields in seiner Heimatstadt ein Held gewesen. Eine Woche später hatte die National Rifle Association einen Reporter vorbeigeschickt, der mit Warren ein Interview führte. Die Story erschien im American Rifleman in der Kolumne »Der bewaffnete Bürger«. Doch Warren und seine Eltern waren nicht glücklich über den unfreiwilligen Ruhm. Wie sich herausstellte, war der Teenager, den Warren erschossen hatte, nur drei Jahre älter gewesen als er selbst. In der Schule hatten sie zusammen Baseball gespielt. Soweit Laurel wusste, hatte Warren seit jenem Tag nie wieder eine Waffe abgefeuert. Trotzdem hielt er jetzt einen Revolver in der Hand.
    Du darfst nicht auf die Waffe starren, ermahnte sie sich. »Jemand versucht dich fertig zu machen, Warren. Das ist die einzige Erklärung für diesen Blödsinn.«
    Ein weiteres mattes Lächeln, als begrüßte er ihre Versuche, das Offensichtliche abzustreiten – genauso, wie Grant immer wieder abstritt, auf den Toilettensitz zu pinkeln. »Dann dürfte es dir ja nichts ausmachen, weiter vorzulesen«, sagte er. »Vielleicht können wir dann gemeinsam überlegen, wer den Brief geschrieben hat.«
    »Warren …«
    »Lies!«
    Sie schloss sekundenlang die Augen; dann fuhr sie fort: »›Ich muss immerzu an dich denken. Du gehörst zu meinem Leben, als wärst du ein Teil von mir. Du bist meine Erlösung – und nicht nur meine, wie du weißt. Nichts auf der Welt könnte mich daran hindern, bei dir zu sein. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dir schreibe. Ich will dir etwas anderes sagen, um dir den letzten und entscheidenden Anstoß zu geben, den du nochbrauchst. Du verdienst mehr, als ich dir geben kann, und deshalb sind wir nicht zusammen. Aber du verdienst auch mehr, als Warren dir gibt. Viel mehr. Du musst ihn verlassen, Laurel. Er kann dich niemals glücklich machen, das weißt du. Er kennt dich nicht einmal richtig. Würde er dich kennen, hätte er es niemals so weit kommen lassen …‹«
    Über den Rand des Briefes hinweg sah Laurel, dass Warrens Gesicht sich zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt hatte. Sie stockte, doch er bedeutete ihr mit einer herrischen Geste, weiterzulesen.
    »›Du und Warren, ihr seid das völlige Gegenteil. Er ist kalt und berechnend, beinahe steril. Du aber bist warm, lebendig und sinnlich – alles das, was du mir im vergangenen Jahr gezeigt hast. Ich versuche nicht, Warren schlechtzumachen. Ich weiß, dass er seine Qualitäten hat. Bei aller Langweiligkeit ist er aufrichtig und zuverlässig. Aber deine Bedürfnisse – emotional, sexuell und intellektuell – sind viel zu groß, als dass ein Mann wie Warren sie befriedigen könnte. Das hast du mir selbst gesagt. Eigentlich braucht er keine Frau, sondern eine Dienerin, und diese Rolle wird dich niemals ausfüllen. Gestehe es dir endlich ein. Je eher, desto besser für dich und für uns alle. Du könntest nur bei ihm bleiben, wenn du dich dein Leben lang zur Märtyrerin für deine Kinder machst. Ich kannte Frauen, die haben das getan. Tagsüber Antidepressiva, nachts Schlafmittel, einen Vibrator in der Nachttischschublade und auf jeder Party zu viel Wein. Ist das die Sache wert?‹«
    Laurel hielt inne, um Atem zu holen. Sie war zu verängstigt, um aufzublicken, und las mechanisch weiter.
    »›Ich bitte dich, Laurel, entscheide dich nicht für ein solches Leben. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Die schlichte Wahrheit ist, dass du zu früh geheiratet hast. Willst du den Rest deines Lebens für diesen Fehler bezahlen? Doch wie du dich auch entscheidest, ich werde mich an unsere Vereinbarung halten. Ich habe mich nie als schwach empfunden, bis ich mich durch deine Augen gesehen habe. Seitdem weiß ich, wie schwach ichin Wirklichkeit bin. Ich werde dich nie vergessen, Laurel. Es tut mir schrecklich leid, mehr als du dir vorstellen kannst.‹« Sie hielt inne, wobei sie versuchte, Danny aus ihren Gedanken auszublenden, als könnte sie ihn dadurch schützen. »Es ist unterschrieben mit ›Ich‹.«
    »Wie praktisch«, höhnte Warren. »Findest du nicht auch? Der Schreiber scheint wirklich den Finger auf dem Puls unserer Ehe zu haben, nicht wahr? Oder wenigstens glaubt er das. Wer könnte uns so gut kennen? Was meinst du?«
    Laurel starrte auf das Blatt und wünschte sich weit, weit fort – so wie damals, wenn sie als kleines Mädchen vor der Kirchengemeinde ihres Vaters hatte singen müssen. Plötzlich verschwamm

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