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12 Stunden Angst

12 Stunden Angst

Titel: 12 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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das war es: Alles Leben war aus Warrens Stimme verschwunden.
    »Was ist los, Warren?«, fragte sie vorsichtig. »Hast du Ärger wegen der Steuerprüfung?«
    Er zeigte auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Kaffeetisch lag. »Ich will wissen, was das ist.«
    Laurel beugte sich vor und blickte auf das Blatt.
    Mein Gott.
    Eisiges Entsetzen erfasste sie. Schlagartig wurde ihr alles klar. Warrens hektisches Suchen, das sie heute Morgen beobachtet hatte, hatte gar nichts mit dem Finanzamt zu tun. Irgendwie hatte er den einzigen handgeschriebenen Brief Dannys entdeckt, den Laurel aufgehoben hatte. Er war mit grüner Tinte geschrieben; deshalb hatte sie ihn sofort erkannt. Und nun schrien die Buchstaben ihr lautlos, doch umso erschreckender den Vorwurf des Ehebruchs entgegen.
    Wann hat er den Brief gefunden?, schoss es Laurel durch den Kopf. Gestern Nacht war er nicht ins Bett gekommen, also hatte er ihn womöglich schon vor vielen Stunden entdeckt, hatte ihn gelesen und sich sofort darangemacht, das Haus auf der Suche nach weiteren Beweisen auseinanderzunehmen. Die fehlende Unterschrift (Danny hatte nur mit »Ich« unterschrieben) war vermutlich der einzige Grund, dass Warren sie nicht schon letzte Nacht aus dem Bett gezerrt und zur Rede gestellt hatte.
    »Ich bin ehrlich überrascht, dass du diesen Brief aufbewahrthast«, sagte Warren. »Du bist doch sonst so umsichtig. Der Wisch scheint dir ja eine Menge zu bedeuten.«
    Laurel stand da wie versteinert, ohne den Blick von dem Brief lösen zu können. Ihr Verstand war völlig leer, während die Furcht mit eisigen Fingern in ihren Eingeweiden wühlte. Sie blickte auf die grünen Buchstaben und versuchte verzweifelt, sich nichts anmerken zu lassen. Ein Schauder durchrieselte sie, als sie spürte, dass Warren sie anstarrte wie ein Reptil, unverwandt, ohne zu blinzeln. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Nein, es gab kein Leugnen mehr, keinen Ausweg. Nun musste die Wahrheit ans Licht.
    »Und?«, forderte er sie mit der geübt kontrollierten Stimme eines Arztes auf. »Was ist? Willst du mich anlügen?«
    Laurel wusste, was seine übertriebene Selbstbeherrschung signalisierte: blinde, rasende, unbeherrschte Wut. Sie hätte darauf gefasst sein müssen, erwischt zu werden. Dannys Brief musste für Warren so tödlich gewesen sein wie ein Stich ins Herz und hatte in den eisigen Höhen ihrer erfrorenen Ehe eine Lawine aus Verleugnen und Verdrängen, Scham und Schuldgefühlen ausgelöst – eine Lawine, die nun, in diesem Augenblick, auf Laurel zuraste. Die Stille im Zimmer war die Ruhe vor dem Sturm, ein Vorspiel zu dem Tosen und Brüllen, das sie lebendig begraben würde.
    »Hast du nichts zu sagen?«, fragte Warren.
    In Gedanken hörte Laurel Dannys Stimme: Gib nichts zu, niemals. Ganz gleich, was er dir vorwirft, streite es ab. Es mag dir lächerlich erscheinen, doch er wird verzweifelt nach einer Möglichkeit suchen, dir zu glauben. Wenn du zugibst, dass du ihn betrogen hast, wirst du es bereuen. Denk nach, ehe du handelst.
    Laurel wusste, dass Danny recht hatte, doch ein Blick auf Warren und den kompromittierenden Brief ließ seinen Rat beinahe lächerlich erscheinen. Wie hätte sie etwas abstreiten können, das so offensichtlich war?
    Nein, sie hatte keine Wahl, als die Wahrheit zu gestehen, selbst wenn dies bedeutete, dass sie den Rest ihres Lebensalleine sein würde. Doch zuerst brauchte sie das Imigran. Während eines Migräneanfalls konnte sie die Zerstörung ihrer Ehe nicht vollenden.
    »Meine Migräne bringt mich um, Warren. Ich kann nicht klar denken … Ich brauche meine Medikamente«, sagte sie und wandte sich zum Gehen, ehe er reagieren konnte.
    »Komm zurück!«, brüllte er. »Wag es ja nicht, mich einfach hier sitzen zu lassen, du Miststück! Laurel! «
    Sie ging weiter, Tränen in den Augen.
    »Dreh dich um, wenn ich mit dir rede, verdammt noch mal!«
    Es war der Klang seiner Stimme, der sie gehorchen ließ, nicht sein Fluchen. In seiner Stimme lag etwas, das sie noch nie gehört hatte, eine Wut, die an Irrsinn grenzte, an unkontrollierte Raserei – und es gab nichts, das Warren fremder gewesen wäre als der völlige Verlust der Selbstbeherrschung.
    Als Laurel sich zu ihm umdrehte, sah sie, dass er kreidebleich geworden war. Mit der rechten Hand hielt er sich am Wohnzimmertisch fest wie ein Ertrinkender, der sich an das Dollbord eines Rettungsbootes klammert, während er in der linken Hand eine Waffe hielt, einen schwarzen, matt schimmernden Revolver, halb

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