12 Stunden Angst
wich zurück. »Bitte, Warren, sag mir, wen du meinst.«
Er beugte sich über sie und spie die Worte hervor wie ein Priester, der den Namen eines Dämonen ausspricht: »Kyle Auster.«
Laurels Unterkiefer sank herab. Dachte Warren allen Ernstes, sie hätte ein Verhältnis mit seinem Partner? »Kyle?« , fragte sie schockiert.
Warren hob die Hand, als wollte er sie schlagen, wandte sich dann aber ab und murmelte: »All die vielen Male, wo du mir erzählt hast, er würde sich an dich heranmachen, wenn er getrunken hat … Weihnachtsfeiern, Wochenenden am See … Du hast gesagt, du findest ihn abstoßend. Aber das war eine Lüge. Jedes verdammte Wort eine Lüge!«
Er drehte sich erneut zu ihr um. Die Abscheu war in sein müdes Gesicht gemeißelt, als wäre es aus Stein. »Weißt du eigentlich, wie viele Krankenschwestern dieser Bastard vernascht hat? Es wäre ein Wunder, wenn du dir nicht alle möglichen Geschlechtskrankheiten eingefangen hättest. Wahrscheinlich hast du mich inzwischen angesteckt!«
Laurel spürte, wie ihr ein hysterisches Lachen in die Kehle stieg, doch sie schluckte es herunter. »Du lieber Himmel … Wie kommst du auf den verrückten Gedanken, ich hätte ein Verhältnis mit Kyle Auster?«
Warren nahm seinen Revolver vom Tisch und zielte damit auf ihr Gesicht. »Es ist kein verrückter Gedanke. Es ist die Wahrheit .«
7
N ell Roberts versetzte den Versicherungscomputer in den Ruhezustand und blickte zu ihrer Schwester Vida, die am Empfangsschalter mit einem verärgerten Patienten redete. Dieser Morgen war die Hölle gewesen, vor allem, weil Dr. Shields nicht zur Arbeit erschienen war. Nell konnte sich nicht erinnern, wann Shields wegen Krankheit auch nur einen Tag gefehlt hatte. Und er gab immer rechtzeitig Bescheid, wenn er im Krankenhaus aufgehalten wurde. Dr. Auster hatte die Helferinnen angewiesen, jede Nummer zu wählen, die sie von Shields hatten, doch er war unerreichbar. Selbst das Handy seiner Frau blieb unbeantwortet. Vida war so überrascht gewesen, dass sie in der Notaufnahme angerufen hatte, um herauszufinden, ob Dr. Shields in einen Unfall verwickelt war.
Im Gegensatz zu Vida und Dr. Auster war Nell nicht annähernd so überrascht von Warren Shields’ unerklärlichem Fernbleiben. Sie hatte einen ziemlich konkreten Verdacht, warum er an diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen war.
Zwei Tage zuvor hatte Nell zufällig mitgehört, wie Dr. Auster und ihre Schwester nach der Arbeit im Aufenthaltsraum über die jüngsten geschäftlichen Probleme gesprochen hatten. Beide hatten geglaubt, Nell hätte die Praxis bereits verlassen, doch Nell war im Archivzimmer gewesen und hatte alte Akten aussortiert. Probleme war genau genommen ein viel zu beschönigender Ausdruck für das, was in den letzten Tagen in der Praxis los gewesen war. Zuerst war ein Brief von der Finanzbehörde gekommen. Das Finanzamt hatte eine Buchprüfung der Praxisgemeinschaft Auster und Shields angeordnet. Beide Ärzte waren in nahezu unkontrollierte Hektik verfallen – Dr. Shields, weil er das Eindringen des Staates in jeden Bereich der Medizin zutiefst ablehnte, und Dr. Auster aus dunkleren Gründen. Im Verlauf der letzten drei Jahre hatte Kyle Auster das Gesundheitssystem hemmungslos betrogen. Über einige Vorgänge wusste Nell Bescheid, andere waren nur ihrer älteren Schwester bekannt.
Nell behielt ihre Nerven eisern unter Kontrolle, doch vermutlich hatte niemand in der Praxis so große Angst wie sie. Austers Betrügereien waren nur möglich gewesen, weil sie und Vida dabei mitgespielt hatten – und Nell hatte schreckliche Angst vor dem Gefängnis. Sie würde hinter Gittern die Hölle erleben, denn sie war jung, weiß, hübsch und im Grunde unschuldig. Rückblickend konnte sie kaum glauben, dass sie diese Dinge getan hatte, doch es war genauso, wie Pastor Richardson immer gesagt hatte: ein verführerischer Weg in den Abgrund. Man fing ganz klein an, machte die Augen zu, während die Schwester dieses oder jenes tat, oder frisierte ein paar kleinere Abrechnungen, weil sie einen darum bat, und bald schon war man voll dabei und bediente sich mit beiden Händen aus dem Medicaid Program, der staatlichen Heilfürsorge. Man konnte es leicht vor sich selbst rechtfertigen, genauso wie Steuerbetrug.
Das Schreiben der Finanzbehörde war nur der Anfang gewesen. Als Nächstes war ein Anruf gekommen, in dem Dr. Auster darüber informiert wurde, dass die Finanzbehörde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet
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