12 Stunden Angst
die Schulter schaute, während man Ziffern für die Abrechnung mit Medicaid kodierte.
Zwei Wochen später rief Auster eine verwirrte Mrs. Bedner in sein Büro und eröffnete ihr, sie müsse sich geirrt haben, was Vida anginge. Leider könne sie nach einer so ungeheuerlichen Anschuldigung nicht mehr für ihn arbeiten.
Am nächsten Tag hatte Nell den Job der gekündigten Mrs. Bedner übernommen.
Damit hatte es angefangen. Nachdem das Geld erst einmal zu fließen begann, hatte Auster immer mehr gewollt. Schicke Autos, Motorräder, Trips nach Las Vegas zum Glücksspiel, verwegene Investitionen, großzügige Spenden bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, kostspielige medizinische Apparate … für ihn war nur das Beste gut genug. Gleiches galt für seine Frau.
Keine Frage, dass Auster und Vida ein intensives Verhältnis miteinander eingegangen waren, nachdem die Betrügereien erst ihren Lauf genommen hatten. Vida blieb fast jeden Abend länger in der Praxis, um an den Büchern zu arbeiten – an denen, die das Finanzamt zu sehen bekam, sollte es je eine Prüfung geben (wozu es ja nun gekommen war). Dr. Auster blieb an den meisten Tagen ebenfalls länger; an den übrigen Abenden kam er auf dem Nachhauseweg zu einem Quickie vorbei, nachdem er seine Runde im Krankenhaus absolviert hatte.
Nell zog es vor, stets um halb sechs Feierabend zu machen, damit sie so wenig wie möglich von dem illegalen Treiben mitbekam (und gar nichts von den ehebrecherischen Aktivitäten zwischen Auster und ihrer Schwester). Letzteres hatte sie von Anfang an gestört; mittlerweile konnte sie den Gedanken daran nicht mehr ertragen. Es war erbärmlich. Denn so pragmatisch Vida sonst auch war – sie glaubte allen Ernstes, Dr. Auster würde seine Frau verlassen und sie, Vida, heiraten. Die Chance, dass es so weit kam, war nach Nells Einschätzung ungefähr so groß, als würde Toyota in Athens Point eine Autofabrik errichten. Doch Vida glaubte unerschütterlich daran.
Das Merkwürdige an der Sache war – inzwischen glaubte Nell, dass sie sich geirrt hatte, was Auster anging. Er war tatsächlich bereit, seine Frau zu verlassen – nur nicht für Vida. Vor zwei Tagen hatte Nell zufällig mitgehört, wie er am Handy mit jemandem geredet hatte, dessen Namen sie leider nicht hatte aufschnappen können. Austers Tonfall war intim gewesen, und er hatte sogar vom Heiraten gesprochen. Nell wusste nicht, wie ein verheirateter Mann heiraten konnte, ohne sich vorher scheiden zu lassen, doch dann war ihr bewusst geworden, dass Auster von der Zukunft gesprochen hatte. Sie war ziemlich sicher, dass er gesagt hatte: »Ich muss nur dafür sorgen, dass Du-weißt-schon-wer auf meiner Seite bleibt, bis es Warren erwischt hat. Danach kann ich gehen, und wir können zusammen sein.« Anschließend hatte er ein paar Sekunden zugehört, während eine blecherne Frauenstimme geantwortet hatte (Nell war sich sicher, dass sie dieStimme von irgendwoher kannte). Dann hatte Auster in bitterem Tonfall gesagt: »Ich hab’s satt, diese kleine Provinzschlampe zu bedienen. Sie macht mir Angst. Aber für sie steht zu viel auf dem Spiel, als dass sie riskieren kann, sich zu rächen.« Er hatte das Gespräch mit einem geflüsterten: »Ich liebe dich auch« beendet, bevor er sich umgedreht hatte und durch den Empfangsbereich in sein privates Büro gegangen war. Nell war noch eine Minute lang stehen geblieben, am ganzen Körper zitternd, bevor sie mit einem falschen Lächeln auf den Lippen zum Empfangsschalter gegangen war, wo ihre Schwester fleißig daran gearbeitet hatte, jenen Mann zu schützen, den sie liebte.
Ich hab’s satt, diese kleine Provinzschlampe zu bedienen. Sie macht mir Angst.
Ein einziges kurzes Telefongespräch hatte Nells Welt in Scherben fallen lassen. Sie und Vida hatten in einem Traum gelebt. Auster betrog nicht nur seine Frau, sondern auch seine Geliebte. Und genauso bestürzend war, dass er vorhatte, Dr. Shields alles in die Schuhe zu schieben, was in der Praxis vorgefallen war. Auster zählte offensichtlich darauf, dass Vida seine Geschichte vor Gericht bestätigte, sollte es nötig werden. Nell konnte sich nicht vorstellen, dass Vida dazu bereit wäre – andererseits, bei dem Gedanken daran, was auf dem Spiel stand, würde Vida die Sache wahrscheinlich als eine Frage des nackten Überlebens betrachten. Er oder wir. Wenn schon jemand ins Gefängnis musste, dann lieber Warren Shields als der Mann, den sie liebte. Vida würde einen feierlichen Eid schwören,
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