12 Stunden Angst
habe. Das hatte die Dinge weiter angeheizt und Dr. Auster und seinen Partner Dr. Shields an den Rand einer Panik gebracht.
Dann war der Anruf eines Freundes von Dr. Auster aus Jackson gekommen – ein Schulfreund, der bei der Staatsregierung arbeitete. Dieser Freund hatte Dr. Auster allem Anschein nach informiert, dass die staatliche Heilfürsorge gegen ihn und seine Praxis ermittelte. Diesmal hatte es keine Vorankündigung gegeben, keinen höflichen Brief in Juristensprache, der ihnen viel Zeit gelassen hätte, ihre Spuren zu verwischen. Nichts außer einer mitternächtlichen Warnung, dass jemand Kyle Auster aufs Korn genommen habe. Und warum? Weil irgendjemand – aller Wahrscheinlichkeit nach ein verärgerter Patient – bei der Heilfürsorge angerufen und erzählt hatte, dass Dr. Auster die Abrechnungen fälschte. Und schon war eine Untersuchung in Gang gekommen. Eine heimliche Untersuchung. Das war alles, was Nell wusste – und es war mehr, als sie wissen wollte.
Am meisten Angst machte ihr, dass Vida diejenige gewesen war, die mit alledem angefangen hatte. Nell hatte in New Orleans gearbeitet, als Vida eines Tages angerufen und ihr gesagt hatte, in Dr. Austers Praxis warte ein Job auf sie; Berufserfahrung sei nicht erforderlich. Für jemanden wie Nell, die als Direktionsassistentin in einem Vororthotel anständiges Geld verdiente, hatte ein Job als Bürokraft in Athens Point zuerst wie ein Rückschritt geklungen. Doch Vida hatte ihrer Schwester durch die Blume versprochen, dass sie wahrscheinlich das Doppelte von dem verdienen würde, was sie in New Orleans verdiente – und das war nicht übertrieben, wie sich herausstellte. Vida hatte allerdings nicht gesagt, was Nell für dieses Geld tun musste.
Nach Vidas Schilderung hatten die Betrügereien angefangen, als sie – natürlich nur bei Barzahlungen – in Dr. Austers Kasse gegriffen und die Bücher entsprechend frisiert hatte, um das Fehlen des Geldes zu verschleiern. Nur so viel, dass sie die wichtigsten Dinge bezahlen konnte, nachdem ihr Mann seinen Job in der Papiermühle verloren hatte – bestimmt nicht mehr, als ihr zustand. Doch es gab da eine ältere Dame, die für Auster die Büroarbeit und die Abrechnungen machte, eine alte Walküre namens Bedner, die schon vor Jahren in Rente hätte gehen sollen, und sie hasste Vida. Nachdem sie Vidas raffiniertes Spiel durchschaut hatte, war sie sofort zu Dr. Auster gerannt. Zum damaligen Zeitpunkt war Dr. Shields noch Mitarbeiter gewesen; er hatte sich noch nicht in die Praxis eingekauft und nichts mit der geschäftlichen Seite zu tun gehabt.
Dr. Auster stellte Vida nach der Arbeit zur Rede, bewaffnet mit Beweisen, die Mrs. Bedner ihm geliefert hatte. Er sagte zu Vida, er werde sie nicht belangen – unter der Bedingung, dass sie sofort und ohne großes Aufhebens ihre Stelle räumte. Getreu ihrer Natur stritt Vida sämtliche Anschuldigungen vehement ab und behauptete, jemand treibe ein falsches Spiel mit ihr. Dr. Auster erwiderte, wenn sie das wirklich glaube, könne sie ihre Sicht der Dinge ja der Polizei erzählen. Vida blieb ein paar Sekunden ruhig sitzen; dann fragte sie Dr. Auster, ob sie stattdessen ihm ihreSicht der Dinge erzählen dürfe – als Gegenleistung für einen erstklassigen Blowjob. Vida war schon immer pragmatisch gewesen, was Sex betraf; sie war seit Jahren daran gewöhnt, das Menschen schockiert auf ihre Offenheit reagierten. Sie wusste, dass Kyle Auster mit mehreren Krankenschwestern geschlafen hatte, und sie hatte ihn mehr als einmal dabei erwischt, wie er ihr in den Ausschnitt starrte, wenn er glaubte, sie würde es nicht bemerken.
Auster hörte sich ihr Angebot in aller Ruhe an und erwiderte, er werde entscheiden, was er wegen der Veruntreuung unternehmen werde, nachdem er die Qualität ihres Blowjobs beurteilen könne.
Allem Anschein nach hatte Vida gute Arbeit geleistet, denn Auster hatte ihr hinterher viel Zeit zum Reden gelassen, und Vida hatte diese Zeit gut genutzt. Sie hatte seit Jahren in verschiedenen Arztpraxen gearbeitet und eine Reihe raffinierter Buchhaltungstricks gelernt. Als Auster hörte, wie leicht es war, Geld auf die Seite zu schaffen, beschloss er, sich auch den Rest von Vidas Ideen anzuhören, wie er sein eigenes Einkommen aufbessern könne. Vida brauchte keine halbe Stunde, um ihn zu überzeugen. Der Schlüssel zu allem, sagte sie ihm, sei die Kontrolle über den Empfang. Es ginge nicht an, dass einem eine frömmlerische alte Schachtel wie Mrs. Bedner über
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