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12 Stunden Angst

12 Stunden Angst

Titel: 12 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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noch, er müsste sich eine Zeit lang mit irgendjemand anderem abgeben, bevor er verschwinden und endgültig mit ihr zusammen sein könne … mit der Frau, mit der er gesprochen hat, heißt das.«
    In Vidas Gesicht ging eine Veränderung vor. Sie sah aus wie jemand, der unterwegs von einem Unwetter oder dem Einbruch der Dunkelheit überrascht wurde – im einen Moment noch sicher,den Weg nach Hause zu kennen, um im nächsten Augenblick einsehen zu müssen, dass sie sich verirrt hatte. »Erzähl weiter«, sagte sie mit tonloser Stimme.
    »Dr. Auster sagte: ›Ich hab’s satt, diese kleine …‹«
    »Diese kleine was?«, fragte Vida. Ihre Augen waren so tot wie Glasmurmeln. »Sag es ruhig.«
    »›Ich hab’s es satt, diese kleine Provinzschlampe zu bedienen …‹«, flüsterte Nell, und Vida zuckte zusammen. »Und dann sagte er noch: ›Sie macht mir Angst.‹ Dann kam etwas, das ich nicht verstanden habe, und zum Schluss meinte er noch: ›Für sie steht zu viel auf dem Spiel, als dass sie riskieren kann, sich zu rächen‹, oder etwas in der Art.«
    Alle Farbe war aus Vidas Gesicht gewichen. »Und du glaubst, er hat mich gemeint?«
    Nell brachte es nicht über sich, den letzten Nagel einzuschlagen. Sie zuckte die Schultern. »Mit Sicherheit kann ich das natürlich nicht sagen.«
    »Ich werde ihn kastrieren!«, zischte Vida. »Dieser nichtsnutzige Hundesohn! Nach allem, was ich … ach, egal. Geschieht mir ja nur recht. Was muss ich einem Kerl auch glauben?«
    »War es verkehrt, dass ich es dir erzählt habe?«, fragte Nell nervös.
    »Du musstest es mir erzählen, Baby. Blut ist dicker als Wasser. Mit Sicherheit ist es dicker als alles, was aus einem Kerl kommt. Herrgott im Himmel!«
    Nell beobachtete, wie ihre Schwester sich in die neue Realität einfand. Vida strahlte normalerweise eine Aura derber Vitalität aus, doch in diesem Moment sah sie aus wie eine abgespannte, müde Frau auf einem Foto aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Nell hatte ihr ein paar behutsame Vorschläge gemacht, was ihr Aussehen betraf. Pflegelotion beispielsweise. Nell benutzte sie fast jeden Abend vor dem Schlafengehen und cremte sich auch während des ganzen Tages immer wieder das Gesicht damit ein. Bei Vida hatte jahrzehntelanges Rauchen ihre Haut in einen harten, ledrigen, gelbstichigen Panzer verwandelt, und ihr Haar,einst glänzend braun, war trocken und kraus geworden und stank ständig nach Zigaretten. Wenn sie abends ausging, zog sie sich kaum einen Tick besser an als weißer Abschaum: Haltertops und blauer Lidschatten, so dick aufgetragen wie eine Maske, ganz zu schweigen von dem mächtigen Lidstrich unter dem unteren Augenlid.
    Vidas großer Augenblick war der Gewinn eines vom Fernsehen ausgestrahlten Miss-Wet-T-Shirt-Wettbewerbs in Destin gewesen – sie hatte hundertfünfzig Konkurrentinnen geschlagen –, doch zwei Kinder und zehntausend Cheeseburger hatten die Luft aus ihren preisgekrönten Aktivposten gelassen und ihre Taille unter einer Rolle Fett verborgen. Es war ein Beleg für ihren schwarzen Humor und ihre beschwingte Persönlichkeit, dass Dr. Auster – der die freie Auswahl unter mehr als zwanzig Krankenschwestern hatte – die Augen vor ihren unübersehbaren Macken verschlossen hatte.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Nell leise.
    In Vidas Augen erschien ein hartes Funkeln. »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Das konnte ich schon immer, wie du weißt.«
    Nell hatte Angst, ihre anderen Befürchtungen offen zu äußern, doch sie wusste, dass sie den Mund aufmachen musste, wollte sie ihrer Schwester irgendwie helfen. »Ich mache mir Sorgen wegen Dr. Shields, Vi.«
    Vida blickte ihr lange und hart in die Augen. »Er ist ein viel besserer Mann als Kyle, nicht wahr?«
    Nell nickte ernst.
    »Du hast eine Schwäche für ihn, stimmt’s?«
    Nell schloss die Augen und nickte erneut.
    »Jesses, Mädchen! Hast du was mit ihm angefangen?«
    Nell schüttelte vehement den Kopf.
    »Schwörst du?«
    »Ich schwöre. Er hat mich nie angerührt.«
    »Redest du mit ihm? Unterhaltet ihr euch heimlich? Am Telefon oder per E-Mail?«
    »Nein, Vi, ich schwöre es bei Gott. Dr. Shields ist nicht so.«
    Vida kicherte leise. »Sie sind alle so, Nell, sobald die richtige Frau vorbeikommt. Aber ich weiß, was du meinst.«
    »Ich habe Angst, dass er ins Gefängnis muss.«
    Vida vergrub das Gesicht in den Händen. Schließlich blickte sie wieder auf und schaute ihre Schwester an. »Ich will ehrlich zu

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