12 - Tod Bei Vollmond
starrte er sie an und zögerte, ehe er ihr antwortete.
»Ich glaube, er ging nach ihr.«
»Glaubst du?« Fidelmas Stimme klang sehr bestimmt. »Gibt es jemanden, der das genau weiß?«
Verärgert lief Adag erneut rot an. »Ich war am Tor und verabschiedete mich von Ballgel. Sie ist vor dem Abt fortgegangen. Da bin ich mir sicher.«
»Also bist du der letzte, der sie lebend gesehen hat?« wandte nun Eadulf ein, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte.
Adag rümpfte verächtlich die Nase. »Ihr Mörder war der letzte, der sie gesehen hat, sächsischer Bruder.«
»Wieviel Zeit verstrich zwischen Ballgels Aufbruch und dem des Abts?« fragte Fidelma. »Ging er kurz darauf oder erst später?«
»Es war etwas später … Ungefähr eine halbe Stunde oder so.«
»Und die Abtei liegt in der gleichen Richtung wie der Wald, in dem das Mädchen aufgefunden wurde?«
»Am Fuße des Hügels geht es rechts zur Abtei, Ballgel fand man aber in der anderen Richtung. Der Abt hätte sie nicht mehr einholen können.«
Fidelma betrachtete ihn erheitert.
»Warum ist diese zusätzliche Information deiner Meinung nach wohl wichtig?« wollte sie wissen.
Adags Mund wurde vor lauter Verärgerung ganz schmal. »Ich dachte, daß du den Abt beschuldigst …«
»Wenn ich jemanden beschuldige«, warf Fidelma ein, wobei ihre Stimme nach wie vor ganz gelassen klang, »dann sage ich das auch klar und deutlich. Zur Zeit trage ich verschiedene Aussagen zusammen. Ich stelle Fragen und erwarte Antworten, keine Meinungen oder verdrehte Tatsachen. Auch Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, der mein fer comtha ist, darf respektvolle Antworten erwarten, denn in seinem Land ist er Anwalt.«
Adag ließ demütig den Kopf hängen. Seine Wangen waren tiefrot. »Ich wollte nur sagen …«
»Ich weiß genau, was du sagen wolltest«, erwiderte Fidelma kurz und knapp. »Gut, kommen wir auf deinen letzten Wortwechsel mit Ballgel zurück …«
Adag schien verwirrt. »Den letzten Wortwechsel?«
»Eure Unterhaltung am Tor, als sie nachts heimging. Ich vermute, daß ihr euch unterhalten habt.«
»Wie ich schon sagte, ich habe sie nur verabschiedet«, meinte Adag rasch. »Dann ging sie los, und das war das letztemal, daß ich sie sah.«
Nachdenklich schwieg Fidelma.
»In jener Nacht war Vollmond. Es war hell. Fürchtete sich Ballgel davor, allein nach Hause zu gehen? Sie wußte doch, daß zuvor zwei Mädchen im Wald ermordet worden waren, oder?«
Adag seufzte und nickte. »Ballgel war ziemlich störrisch und eigenwillig. Nichts schien sie zu beunruhigen. Doch eigentlich ist erst nach ihrem Tod den meisten von uns klargeworden, welche Bedeutung der Vollmond hatte.«
»Bedeutung?« mischte sich Eadulf wieder ein.
»Alle drei Morde geschahen in einer Vollmondnacht.« Der Ton des Verwalters war nun höflicher. »Ich glaube, es war Gabrán, der Holzfäller, dem es zuerst auffiel, und er teilte es unserem verstorbenen Brehon Aolú mit …«
»Das stimmt«, warf Becc ein. »Doch niemand nahm ihn ernst. Erst als Liag, unser Heilkundiger, seine Ansicht teilte, änderte sich das allmählich, und zwar nachdem man auf die zweite Leiche gestoßen war. Liag kennt sich mit solchen Dingen aus. Er bringt unseren Kindern dies und das über den Mond und die Sterne bei. Was Adag eben sagte, stimmt. Obwohl Gabrán und Liag darauf hingewiesen hatten, daß der Mörder bei Vollmond agierte, wurde es den anderen erst bei Ballgels Tod klar.«
Fidelma dachte eine Weile darüber nach, ehe sie fortfuhr.
»Also ist Ballgel losgegangen, und etwas später machte sich der Abt auf den Weg?«
»Ja, so war es«, sagte Adag. »Dann ging ich ins Bett, denn ich wußte, daß die Gäste meines Fürsten über Nacht bleiben würden.«
»Das genügt mir vorerst, Adag«, stellte Fidelma fest.
Adag blickte zu seinem Herrn, und Becc bedeutete ihm zu gehen.
Fidelma wartete, bis er fort war, dann sagte sie zu Becc: »Wir werden uns morgen mit den Familien der anderen beiden Opfer unterhalten. Doch vielleicht sollten wir mit dem Heilkundigen beginnen. Da er die drei Leichen untersucht hat, könnte ihm einiges aufgefallen sein. Wie war noch sein Name? Liag?«
»Ja, Liag heißt er«, bestätigte ihr Becc. »Ich gebe euch am besten Accobrán mit. Er soll euch führen, denn der Wald ist tief und dunkel. Liag wohnt auf einem kleinen Hügel am Fluß, der schwer zu finden ist, und Besucher sieht er nicht gern, besonders Fremde nicht.«
»Wenn er ein Einsiedler ist«, meinte Eadulf, »dann solltest du
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