12 - Tod Bei Vollmond
wirkte.
»Wir möchten eure Vorstellung vom Himmel kennenlernen, erfahren, was ihr über Sonne, Mond und Sterne und deren Bahnen am Firmament wißt. Wie wir bemerkten, leben in deinem Land viele gebildete Leute, die darüber geforscht und geschrieben haben. Unser Volk ist stolz auf seine Kenntnisse der Gestirne, aber wir haben nicht angenommen, daß es außerhalb der uns bekannten Welt noch andere Völker gibt, die sich damit beschäftigen.«
Bruder Dangila fügte hinzu: »Wir sind auf die Werke eines gelehrten Bruders gestoßen, der Augustin heißt …«
An der Stelle äußerte der Abt, der der Unterhaltung mit aller Konzentration gefolgt war: »Er meint Bruder Aibhistín, der auf der Insel Carthaigh lebt. Aibhistín hat sein Leben ganz dem Studium des Himmels gewidmet.«
»Insbesondere aber dem des Mondes und der Gezeiten«, fügte Bruder Dangila hinzu, »etwas überaus Bedeutendes, denn er hat klar feststellen können, daß der astrorum splendissimum , der hellste der Himmelskörper, der Mond, die Gezeiten der Ozeane lenkt und daher eines der größten Mysterien des Universums darstellt.«
Bruder Gambela hob ein wenig den Kopf, sein Gesicht, wie auch das seiner Gefährten, leuchtete begeistert auf.
»In Molaga entdeckten wir eine Kopie des De Mirabilius Sacrae Scripturae , in dem der gute Bruder Augustin von der Bedeutung des Mondes spricht. Er meint, daß die Passion Christi zu Vollmond stattgefunden hat …«
Auf einmal beugte sich Eadulf mit einem mißtrauischen Blick nach vorn.
»Ihr Brüder aus Aksum scheint sehr am Vollmond interessiert zu sein«, sagte er scharf.
Bruder Dangila lächelte ihn freundlich an. »Wer kann schon den Vollmond und seine Folgen ignorieren?«
»Seinen Folgen?« fragte Fidelma unverzüglich, als sie sich der möglichen Bedeutung seiner Worte bewußt wurde.
»Beschäftigst du dich nicht deshalb mit den Mordfällen, Schwester?« entgegnete Bruder Dangila. »Man hat mir gesagt, daß dein Volk der Tatsache, daß die Morde bei Vollmond geschahen, einige Bedeutung beimißt.«
»Von welchen Folgen sprichst du, Bruder Dangila?« wiederholte Fidelma. Sie hatte das Gefühl, daß das ausdruckslose Gesicht des Aksumiters etwas verbarg.
»Die Flut setzt drei Tage und zwölf Stunden vor dem Vollmond ein und benötigt die gleiche Zeit, um wieder abzuebben. So sagt es euer Gelehrter, der Bruder Aibhistín. Also, wenn der Vollmond so intensiv auf die Gezeiten wirkt, wie sehr werden dann die Gefühle der Menschen auf und ab bewegt? Fließt in unserem Körper nicht auch eine Flüssigkeit, die wie das Wasser der Meere vom Mond beeinflußt werden kann?«
Fidelma verzog nachdenklich den Mund.
»Das ist schon möglich«, gab sie zu. »Demzufolge hätte wohl einer von euch durchaus auf dem Hügel sitzen und in der Vollmondnacht Beobachtungen anstellen können, als Brocc zufällig dort langlief.«
Bruder Dangila lächelte kurz.
»Das ist gut möglich«, antwortete er ernst.
»Und war einer von euch dort?«
»Das haben wir doch schon geklärt, Schwester. Solche Spiele müssen wir nicht spielen.«
Fidelma erkannte, daß sie an der Stelle nicht weiterkommen würde, und wechselte das Thema.
»Wissen denn die Leute hier, daß ihr euch so für den Mond und sein Verhalten interessiert?« erkundigte sie sich.
»Wir haben nicht versucht, unsere Studien geheimzuhalten. Abt Brogán kennt unsere Neigungen genau«, erwiderte Dangila.
Der Abt nickte leicht. »So ist es, Schwester Fidelma. Die Brüder haben nie ihre Leidenschaft für das Studium der Gestirne vor mir verheimlicht, niemandem gegenüber.«
»Aber wenn das so ist«, meinte Eadulf nun, »dann verstärkt doch dieser Umstand das Mißtrauen der Leute hier. Der Anblick eines Fremden auf einem Hügel, der intensiv den Mond betrachtet, würde irgendwelche Verdächtigungen nur noch schüren. Um das zu vermeiden, solltet ihr verraten, warum einer von euch auf dem Hügel saß. Warum sagt ihr nicht, wer es war?«
»In unserem Land pflegen wir zu sagen, daß nur Unkenntnis zu Mißtrauen führt«, entgegnete Bruder Dangila ernst. »Die Leute können nicht einschätzen, warum wir die Himmelsbahnen erforschen. Falls wir also zugeben würden, daß einer von uns in jener Nacht den Vollmond beobachtet hat, ich sage nur falls , würden sie das auch nicht begreifen, und unser Geständnis würde ihr Mißtrauen nur noch verstärken.«
Fidelma sah das ein. »Das ist sicher wahr, Bruder. Doch Publilius Syrus sagt, daß Argwohn nur Argwohn hervorbringt. Sie
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