12 - Tod Bei Vollmond
Macht. Der Großkönig hatte früher ein Zepter aus Eschenholz. Die Esche nannte man Bile Dathí, sie ist ebenfalls heilig und gehört zu den sechs wundertätigen Bäumen Irlands.«
»Hast du nicht eben gesagt, Bile sei eine Eiche?« fragte Eadulf verwirrt.
»Die Sprache entwickelt sich. Heutzutage nennt man jeden heiligen Baum Bile. Und auch der Gott, der die Seelen mit der Fähre über die heiligen Flüsse oder das Meer ins Jenseits geleitet, heißt so.«
Eadulf, der erst als junger Mann zum christlichen Glauben übergetreten war, wurde unbehaglich zumute. Immer versuchte er, seine heidnische Vergangenheit zu leugnen. Fidelma kam mit der alten Götterlehre ihrer Vorfahren offenbar besser zurecht als er, auch wenn das Volk von Éireann das Christentum schon vor etwa zweihundert Jahren angenommen hatte.
»Ich bin einmal durch Londinium gekommen«, erzählte er nachdenklich. »Heutzutage ist der Ort ziemlich verlassen, doch einst war er eine blühende römische Stadt.«
»Davon habe ich gehört«, erwiderte Fidelma.
»Die Welisc , die sich selbst Britannier nennen, lebten einst dort, sogar dann noch, als Rom über die Stadt herrschte.«
Fidelma fragte sich, worauf Eadulf hinauswollte.
»Ich weiß, daß die Welisc viele alte Götter und Göttinnen mit den Iren gemein haben.«
»Das stimmt. Was willst du damit beweisen?«
»Ganz in der Nähe, wo ich wohnte, befand sich ein altes Tor, das Bile hieß und auf den großen Fluß Tamesis führte, der an der Stadt vorbeifließt. Ein alter Mann erzählte mir, daß man früher die Köpfe der Toten vom Körper trennte, sie durchs Tor trug und flußabwärts schiffte. Nicht weit entfernt mündete ein Nebenlauf der Tamesis, er hieß der Welisc Brook, dort warf man die Köpfe ins Wasser, zusammen mit Schwertern, Schilden und anderen Waffen. Ein furchtbarer heidnischer Brauch.«
Fidelma lächelte und nickte. »So furchtbar ist er gar nicht. Man glaubte damals, daß sich die Seele eines Menschen im Kopf befände, und um die Toten zu ehren, trennte man häufig die Köpfe ab – wodurch die Seelen befreit wurden – und bewahrte die Köpfe an heiligen Stätten auf. Ist es nicht großartig, daß im Herzen des Landes, das nun den Angeln und den Sachsen gehört, so ein alter Brauch seine Spuren hinterlassen hat?«
Eadulf schüttelte betrübt den Kopf.
»Semel insanivimus omnes« , sagte er. »Wir waren alle einmal töricht. Ich weiß nicht, ob die Leute an so etwas erinnert werden müssen. Es ist ohnehin schwer genug, sie zum wahren Glauben zu bekehren. Das mußten wir doch erst im letzten Jahr erfahren, nicht wahr?«
Eadulf spielte offenbar darauf an, daß manche der sächsischen Königreiche erst vor kurzem wieder zu den alten Göttern ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren. So hatte zum Beispiel Sigehere, König von Ostsachsen, ein Land an der Grenze zu Eadulfs Land der Ostangeln, vor zwei Jahren nach einer verheerenden Pest die alten heidnischen Tempel wieder geöffnet.
»Du kannst keine Zukunft aufbauen, wenn du das Wissen der Vergangenheit verdrängst oder es zu vernichten versuchst. Der Bericht von Bischof Benignus, dem Nachfolger des heiligen Patrick in Armagh, macht mich ganz traurig, denn er schreibt, daß Patrick hundertachtzig Schriften der Druiden verbrannt hat, um das Volk zum Christentum zu bekehren. Die Zerstörung von Wissen, von jeglichem Wissen, ist keine gute Grundlage für die Zukunft.«
»Du kannst doch nicht die Vernichtung des Heidentums ablehnen, wenn du dich dazu verpflichtet hast, die Menschen zum Christentum zu bekehren!« Eadulf war entsetzt.
»Ich will nur sagen, der Torheit der Menschen sollte man mit Lachen begegnen und nicht damit, daß man Märtyrer schafft. So hielten es unsere Satiriker stets, darum sieht unser Gesetz auch so hohe Strafen für jene vor, die ohne gültigen Beweis über andere spotten. Castigat ridendo mores. «
Eadulf überlegte.
»Sie sagen sich von alten Bräuchen los, indem sie sich darüber lustig machen?« wagte er zu sagen.
Fidelma lächelte. »Mit anderen Worten, das Lachen wird Erfolg haben, wohingegen Bedrohungen, Strafen und gottesfürchtige Lektionen scheitern werden.«
Eadulf seufzte. »Das klingt vielversprechend. Ich bin jedoch sicher, auch dagegen findet sich ein Argument.«
»Sag mir Bescheid, wenn dir eins einfällt. In der Zwischenzeit wollen wir uns unserem Fall widmen.«
Sie ließen ihre Pferde langsam auf den bewaldeten Hügel zulaufen, wo sie Liag schon einmal getroffen hatten.
»Wir sollten nach
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