12 - Tod Bei Vollmond
Vormittag tatsächlich nicht einmal an Alchú gedacht.
»Seit wir aus Cashel fort sind, haben wir kein einziges Mal über unseren Sohn gesprochen«, sagte Eadulf ruhig, doch er betonte das »wir«.
Fidelma errötete vor Scham. Sie wußte, daß Eadulf recht hatte, doch das regte sie nur noch mehr auf.
»Müssen wir denn von ihm sprechen? Er ist in Sáraits Obhut auf Schloß Cashel. Wir haben uns hier vor Ort um wichtigere Dinge zu kümmern.«
Eadulf packte die Gelegenheit beim Schopfe. »Alchú ist noch nicht mal einen Monat alt, und du hast ihn einer Amme überlassen. Da ich an der medizinischen Hochschule von Tuam Brecain studiert habe, weiß ich genau, daß das Stillen eines Kindes der Mutter Kraft und Gesundheit wiedergibt und die Bindung zwischen Mutter und Kind stärkt, statt …«
»Eadulf, es ist weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, meine Fähigkeiten als Mutter in Frage zu stellen«, entgegnete sie schroff.
Eadulf beherrschte sich. »Ich bin nicht sicher, ob ich deine Stimmungen begreife, Fidelma. Seit der Geburt unseres Sohnes hast du dich stark verändert.«
»Ist es etwa verboten, sich zu verändern?« Sie wußte sehr wohl, was er meinte, hatte sie doch selbst ihre Beweggründe hinterfragt. »Manchen Menschen täte eine Veränderung gut!« Sie wurde zusehends gereizter, gerade weil sie wußte, daß sie im Unrecht war. »Wenn du dir solche Sorgen um das Kind machst, warum reitest du nicht nach Cashel zurück, und ich bleibe hier, um den Fall zu lösen?«
Eadulf sah sie resigniert an.
»A verbis ad verbera« , seufzte er, »von Worten zu Schlägen.«
Fidelma wollte schon wütend etwas entgegnen, doch dann seufzte sie ebenfalls. Sie lehnte sich vor und legte reumütig eine Hand auf Eadulfs Arm.
»Wir wollen vorerst nicht mehr darüber reden, Eadulf. Dring bitte nicht weiter in mich. Meine Stimmung ändert sich von einem Augenblick zum anderen, ohne daß ich einen Grund dafür erkenne.«
Eadulf blickte sie besorgt an. »Das hast du mir noch nie anvertraut.«
Sie lächelte ein wenig. »Du hättest es merken können.«
»Das habe ich schon, aber ich habe nicht angenommen, daß du krank …«
Sie fiel ihm ins Wort. »Das ist kein körperliches Leiden. Ich handele, als wäre ich im Fieber. Manchmal fürchte ich um mich. Meistens, wenn ich an unser Baby denke, Eadulf. Wenn ich mich auf andere Dinge konzentriere, ist nach wie vor vernünftig, was ich tue. Und das macht mir noch mehr Angst.«
Eadulf fuhr sich mit der Hand über den Kopf. »Ich glaube mich zu erinnern, daß eine Mutter nach der Geburt eines Kindes durchaus unglücklich sein kann … Davon habe ich gehört.«
»Wenn wir wieder in Cashel sind, will ich den alten Conchobhar aufsuchen«, warf Fidelma rasch ein. »Bis dahin wollen wir nicht mehr darüber sprechen.«
Conchobhar war der erste Arzt von Cashel und außerdem Astrologe.
Eadulf begriff, daß es keinen Sinn hatte, die Angelegenheit weiterzuverfolgen. Schweigend ritten sie in das Dickicht der Bäume hinein, die immer enger standen. Sie versuchten sich rechts vom Fluß zu halten, doch der gewundene Pfad führte sie von ihrem Ziel ab, so daß sie ein-, zweimal umkehren mußten, um eine andere Route einzuschlagen. Auf einmal befanden sie sich in einer Gegend, die sie beide wiedererkannten.
»Dort ist der Hügel«, murmelte Eadulf, als sie an einer lichten Stelle am Fluß anhielten. »Wie hat ihn Accobrán gleich genannt?«
»Cnoc a’ Bhile«, antwortete Fidelma.
»Richtig. Der Hügel des heiligen Baumes.« Eadulf seufzte. »In so einem Baum sollen die heidnischen Götter einst gewohnt haben.«
»Bile war eine heilige Eiche, heißt es bei den Vorfahren, und als sich Danu, das göttliche Wasser des Himmels, auf die Erde ergoß, wuchs die Eiche und trug Eicheln. Aus jeder Eichel kam ein heidnischer Gott oder eine Göttin hervor. Deshalb wird das alte irische Göttergeschlecht auch Tuatha dé Danann, Kinder der Göttin Danu, genannt.«
»Ich dachte, daß Bile der Gott der Dunkelheit und des Todes sei und aus der Unterwelt stamme.«
»Christen aus Rom waren es, die hierherkamen und sich die alte Göttin Danu so vorgestellt haben. Für unser Volk ist die Eiche immer noch heilig. Viele unserer Stammesfürsten wurden unter den Zweigen einer Eiche in ihr Amt eingeführt, denn sie ist das Symbol unserer Könige, der Ursprung unseres Volkes. Es gilt als Frevel, so einen heiligen Baum zu fällen. Der Amtsstab eines Fürsten oder Königs ist aus Eichenholz und verleiht ihm besondere
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