12 - Wer die Wahrheit sucht
aufbaute.«
»Was ist das für ein Unternehmen?«
»Chateaux Brouard«, sagte Holberry. »Sie haben einen Haufen Geld gemacht und sich in Guernsey niedergelassen, als er sich vom Geschäft zurückzog.«
Chateaux Brouard. St. James hatte von dem Konzern gehört: eine Kette kleiner, exklusiver Hotels, ehemalige Landhäuser, mit Niederlassungen im gesamten Vereinigten Königreich. Nichts Spektakuläres, Häuser, die geschichtliche Tradition, Antiquitäten, erlesenes Essen und Ruhe boten; das Richtige für Leute, die Ungestörtheit und Anonymität suchten, Schauspieler, die sich dem Medienrummel einmal ein paar Tage lang entziehen wollten, und Politiker mit heimlichen Affären. Das Unternehmen Chateaux Brouard hielt sich streng an den Grundsatz, dass Diskretion die Mutter des geschäftlichen Erfolgs ist.
»Sie sagten, sie wolle vielleicht jemanden schützen«, bemerkte St. James. »Wer könnte das sein?«
»Als Erster fällt mir da der Sohn ein, Adrian.« Holberry erklärte, dass auch Guy Brouards siebenunddreißigj ähriger Sohn Adrian in der Nacht vor dem Mord Gast im Haus seines Vaters gewesen war. Weiter, meinte er, wäre das Ehepaar Duffy zu nennen, Valerie und Kevin, die seit dem Tag, an dem Brouard sich auf dem Besitz niedergelassen hatte, praktisch zum Inventar von Le Reposoir gehörten.
»Ruth Brouard könnte für jeden dieser Leute lügen«, sagte Holberry. Sie sei bekannt für ihre Loyalität zu den Menschen, die ihr nahe standen. Und zumindest von den Duffys sei umgekehrt die gleiche Loyalität zu erwarten. »Ruth und Guy Brouard waren beliebt. Er hat hier auf der Insel viel Gutes getan und nie mit seinem Geld gegeizt. Und sie ist seit Jahren bei den Samaritern aktiv.«
»Menschen also, die allem Anschein nach keine Feinde hatten«, bemerkte St. James.
»Tödlich für die Verteidigung«, sagte Holberry. »Aber an dieser Front ist noch nicht alles verloren.«
Beim zufriedenen Ton seiner Stimme horchte St. James auf. »Sie haben etwas entdeckt.«
»Mehrere Dinge, ja«, bestätigte Holberry. »Sie können sich als bedeutungslos erweisen, aber man muss ihnen nachgehen, denn die Polizei hat sich von Anfang an für niemand anderen als die Geschwister River ernsthaft interessiert.«
Er berichtete von einer engen Beziehung zwischen Guy Brouard und einem sechzehnjährigen Jungen, Paul Fielder, der in einem Viertel namens Le Bouet am falschen Ende der Stadt lebte. Brouard hatte sich im Rahmen eines städtischen Programms zur Förderung benachteiligter Jugendlicher durch erwachsene Gemeindemitglieder mit Paul Fielder angefreundet, der ihm als Schützling zugeteilt worden war. Er hatte Paul praktisch adoptiert, wovon die Eltern des Jungen vermutlich nicht unbedingt begeistert gewesen waren, ebenso wenig wie wahrscheinlich Brouards leiblicher Sohn. Da konnte es leicht zu Ausbrüchen negativer Gefühle gekommen sein, vor allem von Eifersucht, und wozu Eifersucht manchen führen konnte, das wusste man ja.
Weiter sei da dieses Fest gewesen, das Guy Brouard am Vorabend seines Todes veranstaltet hatte, fuhr Holberry fort. Alle Welt hatte seit Wochen gewusst, dass es stattfinden würde. Jemand, der Brouard nach dem Leben trachtete und ihn möglichst in einem schwachen Moment überrumpeln wollte - wie zum Beispiel nach einer durchfeierten Nacht -, konnte also im Voraus genau geplant haben, wie der Mord sich am besten bewerkstelligen und einer anderen Person in die Schuhe schieben ließ. Wie schwierig wäre es denn gewesen, heimlich nach oben zu laufen, während die Party in vollem Gang war, und falsche Spuren zu legen, vielleicht sogar mit China Rivers Schuhen zur Bucht hinunterzulaufen und ein oder zwei Abdrücke zu hinterlassen, die die Polizei später finden würde? Ja, dieses Fest und der Mord hatten miteinander zu tun, erklärte Holberry mit Entschiedenheit, und das in mehr als einer Hinsicht.
»Auch diese Geschichte mit dem Museumsarchitekten muss unter die Lupe genommen werden«, fuhr er fort. »Was da passiert ist, kam völlig unerwartet und war nicht sauber, so etwas kann nur provozieren.«
»War denn der Architekt an dem Abend da?«, fragte St. James. »Ich dachte, er ist in Amerika.«
»Nicht der Architekt. Ich spreche von dem Architekten, der ursprünglich vorgesehen war, ein Mann namens Bertrand Debiere. Er ist von hier und war genau wie alle anderen davon überzeugt, dass er mit seinem Entwurf den Auftrag für Brouards Museumsbau erhalten würde. Warum auch nicht! Brouard hatte ein Modell des
Weitere Kostenlose Bücher