12 - Wer die Wahrheit sucht
zelebrierten.
Frank schaffte es in letzter Minute, ein wahres Wunder in Anbetracht der Parksituation in der Stadt. Aber die Polizei hatte beide Parkplätze am Albert-Pier für die Trauergäste reserviert, und wenn auch Frank nur am hintersten Ende eine Lücke fand, gelang es ihm dank flotter Gangart gerade noch, vor dem Sarg und der Familie in die Kirche hineinzuhuschen.
Adrian Brouard hatte sich zum Ersten Leidtragenden ernannt, sein gutes Recht, denn er war ja Guy Brouards ältester Nachkomme und einziger Sohn. Aber natürlich wusste jeder, der mit Guy Brouard befreundet gewesen war, dass es zwischen Vater und Sohn seit drei Monaten keinerlei Kommunikation mehr gegeben hatte; und was vor dieser Kälteperiode an Kommunikation stattgefunden hatte, war vor allem durch Machtkämpfe gekennzeichnet gewesen. Wahrscheinlich, vermutete Frank, hatte die Mutter Adrians bei dessen Aufstellung unmittelbar hinter dem Sarg kräftig die Hand im Spiel gehabt. Und um dafür sorgen zu können, dass er blieb, wo er war, hatte sie sich direkt hinter ihm platziert.
Die arme Ruth kam erst an dritter Stelle, gefolgt von Anaïs Abbott mit ihren zwei Kindern, die es irgendwie geschafft hatte, sich zu dieser Gelegenheit in die Familie hineinzudrängen. Ruth selbst hatte wahrscheinlich einzig die Duffys gebeten, sie auf diesem schweren Gang zu begleiten, aber Valerie und Kevin waren noch hinter die Abbotts verbannt worden und vermochten es nicht, ihr von dieser Stelle aus Trost zu spenden. Frank hoffte, ein wenig werde sie wenigstens die große Zahl von Trauergästen trösten, die gekommen waren, um ihrer Zuneigung zu ihr und ihrem Bruder - Freund und Wohltäter so vieler Menschen - Ausdruck zu verleihen.
Frank selbst hatte den längsten Teil seines Lebens die Freundschaft mit anderen gemieden. Was er brauchte, war durch die Beziehung zu seinem Vater abgedeckt worden. Von dem Tag an, als seine Mutter im Stausee ertrunken war, hatten er und sein Vater fest zusammengehalten. Frank, der nicht nur Zeuge der verzweifelten Bemühungen seines Vaters geworden war, die Mutter zu retten und wieder zum Leben zu erwecken, sondern auch der schrecklichen Vorwürfe, mit denen dieser sich quälte, weil er meinte, nicht schnell und kompetent genug gehandelt zu haben, hatte sich seinem Vater seither untrennbar verbunden gefühlt. Frank, das Kind, fand, der Vater habe mit seinen vierzig Jahren allzu viel Schmerz und Kummer erlebt, und beschloss, beidem in Zukunft ein Ende zu bereiten. Er hatte dieser Aufgabe einen großen Teil seines Lebens gewidmet, und als er eines Tages Guy Brouard begegnet war, winkte die Aussicht auf eine Männerfreundschaft so verlockend wie der Apfel im Garten Eden. Wie ein Verhungernder hatte er in diesen Apfel hineingebissen, ohne daran zu denken, dass schon ein einziger Biss zur ewigen Verdammnis gereicht hatte.
Die Trauerfeier schien kein Ende zu nehmen. Neben Adrian Brouard, der die Trauerrede stockend von einem dreiseitigen, mit Maschine geschriebenen Konzept ablas, musste auch noch jeder der anwesenden Geistlichen seinen eigenen Vers aufsagen. Die Gemeinde sang die angemessenen Hymnen, und eine Sängerin, die irgendwo in den Höhen der Kirche verborgen war, erhob die Stimme zum getragenen Lebwohl.
Damit war der erste Teil abgeschlossen. Als Nächstes standen die Bestattung und der Empfang auf dem Plan, beide sollten in Le Reposoir stattfinden.
Die Wagenkolonne, die zum Herrenhaus aufbrach, war von beeindruckender Länge. Sie zog sich vom Albert-Pier bis weit über die Victoria Marina hinaus den Quay entlang. Im Schritttempo bewegte sie sich unter den mächtigen, winterlich kahlen Bäumen am Fuß des steilen Hangs das Val des Terres hinauf. Weiter folgte sie der Straße stadtauswärts, auf der Ostseite das reiche Viertel Fort George mit großen modernen Villen, geschützt hinter hohen Hecken und Toren, und westlich die bescheideneren Wohngebiete der gewöhnlichen Leute: Straßen und Alleen aus dem neunzehnten Jahrhundert, dicht bebaut mit Doppel- und Reihenhäusern im Stil ihrer Zeit, an denen die Jahre sichtlich nicht spurlos vorübergegangen waren.
Kurz bevor der Zug die Gemeindegrenze von St. Martin erreichte, wandte er sich nach Osten. Die Wagen fuhren unter Bäumen auf der schmalen Straße weiter, die in eine noch schmalere überging, auf der einen Seite von einer hohen Steinmauer, auf der anderen von einer Hecke begrenzt.
Weit geöffnet wartete das zweiflügelige Tor zu Guy Brouards Besitz. Der Leichenwagen bog ab,
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