12 - Wer die Wahrheit sucht
würde ihre ehemalige Schwägerin vor Gericht zerren und sämtliche schmutzige Wäsche waschen, die es zu waschen gab. Natürlich würde Ruth alle möglichen Begründungen für die Entscheidung ihres Bruders vorbringen, aber die sollten nur versuchen, ihr vorzuwerfen, sie hätte die Beziehung zwischen Vater und Sohn untergraben; die sollten nur einen einzigen Versuch unternehmen, sie als diejenige hinzustellen, die schuld war, dass Adrian leer ausgegangen war... Sie würden sich wundern, wenn sie die Gründe dafür nannte, warum sie ihren Sohn nicht zu seinem Vater gelassen hatte. Jeder dieser Gründe hatte einen Namen und einen Titel, allerdings keinen von der Art, der in den Augen der Öffentlichkeit so etwas wie ein Freibrief für mehr oder weniger ernste Verfehlungen war: Danielle, die Stewardess; Stephanie, die Stripperin; Mary Ann, die Hundefriseurin; Lucy, das Zimmermädchen.
Das waren die Gründe, warum Margaret den Sohn vom Vater fern gehalten hatte. Was wäre das für ein Beispiel für den Jungen gewesen?, könnte sie jedem erwidern, der meinte, ihr Handeln in Frage stellen zu müssen. Wäre dies das richtige Rollenvorbild für einen Jungen im Alter von acht, zehn oder fünfzehn Jahren gewesen? Wenn der Vater ein Leben führte, das längere Aufenthalte seines Sohnes bei ihm verbot, war das dann die Schuld des Sohnes? Und sollte ihm jetzt vorenthalten werden, was ihm durch Blutsbande zustand, nur weil die Kette der Geliebten seines Vaters im Lauf der Jahre niemals abgerissen war?
Nein. Es war ihr gutes Recht gewesen, die beiden einander fern zu halten, ihre Zusammentreffen auf kurze oder vorzeitig abgebrochene Besuche zu beschränken. Adrian war schließlich ein sensibles Kind gewesen, und es war ihre Pflicht als liebende Mutter, ihn zu schützen und nicht den Exzessen seines Vaters auszusetzen.
Sie beobachtete ihren Sohn, der an der Seite des Saals lauerte, in dem sich, von zwei Feuern gewärmt, die an beiden Enden des Raums brannten, einige der Trauergäste eingefunden hatten. Er versuchte offensichtlich, sich unauffällig zur Tür zu schleichen, entweder, um dem Empfang ganz zu entkommen, oder um ins Speisezimmer zu verschwinden, wo auf dem edlen Mahagonitisch ein opulentes Büfett aufgebaut war. Margaret runzelte die Stirn. Das war unmöglich. Er hätte sich unter die Gäste mischen müssen. Anstatt an der Wand entlangzukriechen wie ein Käfer, hätte er ein Auftreten an den Tag legen müssen, wie es dem Spross des reichsten Mannes, den die Kanalinseln je gesehen hatten, entsprach. Wie konnte er mehr vom Leben erwarten als das, was es jetzt war - die Enge des Hauses seiner Mutter in St. Albans -, wenn er sich nicht ein bisschen Mühe gab?
Margaret eilte zur anderen Seite des Saals und fing ihren Sohn an der Tür zum Durchgang ins Speisezimmer ab. Sie hakte sich bei ihm ein und sagte, ohne auf seine Versuche, sie abzuschütteln, zu achten, mit einem Lächeln: »Ach, hier bist du, Darling. Ich brauche dringend jemanden, der mir die Leute zeigt, die ich noch kennen lernen muss. Es wäre natürlich hoffnungslos, sich mit allen bekannt machen zu wollen, aber es sind doch sicher einige wichtige Leute da, die zu kennen für die Zukunft nützlich sein könnte.«
»Was für eine Zukunft?« Adrian versuchte, mit seiner Hand die ihre wegzuschieben, aber sie packte seine Finger und drückte zu und lächelte weiter, als dächte er nicht daran, ihr zu entkommen.
»Deine, natürlich. Wir müssen langsam anfangen, dafür zu sorgen, dass sie gesichert ist.«
»Ach was? Und wie willst du das anstellen, Mutter?«
»Nun, ein Wörtchen hier, ein Wörtchen dort«, erwiderte sie leichthin. »Man kann erstaunlich viel Einfluss nehmen, wenn man weiß, mit wem man reden muss. Dieser düster-romantisch aussehende Mann da drüben, zum Beispiel, wer ist das?«
Statt zu antworten, bemühte sich Adrian, sich von seiner Mutter zu lösen. Aber sie war größer als er - und auch gewichtiger - und hielt ihn fest an Ort und Stelle.
»Darling?«, sagte sie mit strahlender Munterkeit. »Der Mann dort mit den Flicken auf den Ellbogen? Der so ein bisschen wie ein überfütterter Heathcliff aussieht.«
Adrian warf einen flüchtigen Blick auf den Mann. »Das ist einer von Dads Künstlern. Von denen wimmelt's hier nur so. Sie sind alle gekommen, um sich mit Ruth gut zu stellen, für den Fall, dass sie den Löwenanteil geerbt hat.«
»Wo sie sich doch mit dir gut stellen sollten. Sehr seltsam«, kommentierte Margaret.
Er sah sie mit
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