1202 - So enden sie alle
stehen blieb. Bis zu diesem Zeitpunkt ha tten wir schon einige andere Türen passiert.
»Ist das sein Büro?«
»Wäre ich sonst stehen geblieben?«
»Gehen Sie rein!«
Sie klopfte nicht an. Schnell öffnete sie die Tür. Ich blieb ihr auf den Fersen, und die Mündung der Waffe deutete auf ihren Hinterkopf.
Die Cannon ging nicht eben weit vor. Nach dem zweiten Schritt blieb sie bereits stehen und schaute sich suchend um.
»Was haben Sie?«
»Er ist nicht hier.«
»Erstaunt Sie das?«
»Ja.«
»Gehen Sie vor und verschränken Sie Ihre Hände am Hinterkopf.«
Die Cannon lachte. »Himmel, müssen Sie Angst vor mir haben.«
Ich ließ mich nicht provozieren. »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!«
»Bitte.«
Ich stellte mich so hin, dass ich sowohl Shirley Cannon als auch den Raum im Auge behielt, und ich hatte tatsächlich das Gefühl, an der Nase herumgeführt worden zu sein, denn was ich hier sah, war alles andere als das Büro eines Wissenschaftlers. Die Umgebung kam mir vor wie eine Theaterkulisse, in der bald eine Operette aufgeführt wurde.
Plüsch, Pomp, Kitsch. Bilder, die Frauen mit rubensähnlichen Körperformen zeigten. Viele nackt oder nur mit dünnen Tüchern bekleidet. So räkelten sie sich in irgendwelchen Polstern und auf Kissen herum.
Allerdings sah ich auch einen Schreibtisch. Und der wies darauf hin, dass dieser Raum wohl auch als Arbeitszimmer genutzt wurde. Es gab ein Telefon. Es lagen einige Papiere auf der Platte, aber ich sah keinen Computer.
»Pech, er ist nicht mehr hier.«
»Das sehe ich.«
Sie konnte grinsen und hatte Spaß, dass ich ins Leere schaute.
»Sie wundern sich nicht?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte ich. »Das habe ich mir abgewöhnt. Ich will wissen, wo wir ihn finden.«
»Da fragen Sie mich zuviel, Sinclair.«
Ich hatte die zweite Tür schon längst gesehen. »Es gibt doch hier nicht nur diesen Raum. Wohin geht es, wenn wir durch die Tür dort gehen?«
»Zu mir.«
»In Ihr Büro?«
»Ja.«
»Dann bitte.«
Shirley Cannon hob die Schultern und machte sich auf den Weg. Ich blieb mit meinem Revolver hinter ihr. Bei dieser Frau war ich auf alles gefasst, aber ich brauchte nicht einzugreifen.
Sie betrat den zweiten Raum, ohne eine verdächtige Bewegung gemacht zu haben. Der Plüsch verschwand. Ich befand mich tatsächlich in einem Büro, das zugleich auch noch eine Schlafstätte beinhaltete, denn an der Längsseite stand eine Couch, die mit einem hellen Betttuch bezogen war. Der obligatorische Schreibtisch. Natürlich hier mit PC, ein Regal mit Büchern, ein Ständer mit Disketten und an den Wänden Fotos, die durch kleine Nadeln an der Tapete gehalten wurden.
Auch aus einer gewissen Distanz heraus sah ich die Motive der Bilder.
Kinder!
Sie alle waren fotografiert worden. Jungen und Mädchen.
Manche lächelten, andere schauten ernst. Insgesamt sechs sah ich.
Ich schwieg, aber meine Gedanken bewegten sich. Ich vermutete, dass die drei Mädchen und drei Jungen nichts anderes als Versuchsobjekte für Elax und seine Assistentin waren, und ich merkte, wie heiße Wut in mir hochstieg. Aber ich beherrschte mich und stellte die Frage mit ruhiger Stimme.
»Haben Sie mit diesen jungen Menschen experimentiert?«
»Geforscht, Sinclair!«
»Das ist mir egal!«, fuhr ich sie an. »Haben Sie es oder haben Sie es nicht?«
»Wir haben es.«
»Sehr gut. Dann muss ich davon ausgehen, dass es noch mehrere Carlottas gibt.«
Sie schnaufte, bevor sie sagte: »Wir sind auf dem Weg.«
Sollte das eine Hoffnung sein? Sollte ich abgelenkt werden?
Wenn sie auf dem Weg waren, dann hatten sie das Ziel noch nicht erreicht. Es war möglich, dass es ihnen bisher nur bei Carlotta gelungen war und die anderen Kinder sich noch in einem Vorstadium befanden.
»Sie sind hier unten, nicht wahr?«
»Wo sonst?«
»Gut, dann führen Sie mich hin.«
Die Cannon zögerte. Ich hatte den Eindruck, dass ihr erst jetzt zum ersten Mal richtig auffiel, wie ernst es mir war. Dass ihr Geheimnis endgültig der Finsternis entrissen wurde.
»Gehen Sie schon vor!«
»Bitte, wie Sie wollen.«
Noch gab sie sich gelassen. Ich rechnete damit, dass sie auf ihre Chance lauerte und sicherlich dabei auch an Babur dachte.
Den Killer hatte ich ebenfalls nicht vergessen und wünschte mir nur, dass er sich nicht hier unten befand, sondern bei seinen Leuten, die mich gejagt und nicht erwischt hatten.
Shirley Cannon öffnete eine weitere Tür in ihrem Büro und betrat wieder einen Flur. Er war durch das
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