1205 - Wer die Totenruhe stört
Freunde auch die ihren waren.
Auch wenn Elsa Groof alles andere als eine landläufig bekannte Hexe war, ihr Haus jedenfalls hielt den Vergleich mit einem Hexenhaus aus dem Märchen stand. Es war nicht nur von außen klein, sondern auch von innen, und ich musste beim Eintreten den Kopf einziehen. Später traute ich mich auch nicht, mich aufrecht hinzustellen, aus Furcht, mir an der niedrigen Decke Beulen zu holen. Wir sahen nahe des Eingangs eine schmale Stiege, die in die erste Etage führte, wo die Räume sicherlich wegen ihrer Schräge noch kleiner waren.
Vom Alter her war Elsa Groof schwer zu schätzen. Meiner Ansicht nach war sie ungefähr 70. Ich wunderte mich über ihre glatte Gesichtshaut. Sie hatte bestimmt im Laufe des langen Lebens keine Schminke gesehen, und das machte sich jetzt bemerkbar. Nur um den Mund herum hatten sich zahlreiche schmale Falten in die Haut eingegraben.
Die Frau trug ein dunkles Kleid. Ihr Haar war sehr grau, schon weiß, aber sie hatte es sorgfältig frisiert.
Ihr Wohnzimmer war klein, aber gemütlich. Im ebenfalls recht kleinen Kamin brannte ein Feuer, dessen Flammenarme um die Holzscheite herumtanzten.
Suko und ich nahmen auf einem alten Sofa Platz, dessen Stoff schon leicht verschlissen war. Trotzdem war das Blumenmuster noch zu erkennen.
Mrs. Groof hatte uns aus ihren hellwachen Augen beobachtet und lächelte uns an, als sie Teetassen vor uns hinstellte. »Seien auch Sie mir willkommen. Ich habe einen Blick für Menschen. Ich weiß, dass Sie nichts Schlechtes im Sinn haben.«
Wenig später erfuhr sie unsere Namen. Wir erklärten ihr auch, wer wir waren und dass uns wirklich der Zufall hergeführt hatte.
»Nein, meine Herren«, erklärte Elsa Groof, »das ist kein Zufall gewesen.« Sie hatte die Hände jetzt wie zum Gebet gefaltet. »Zufall war das wirklich nicht, sondern die Hand Gottes. Glauben Sie mir. Es ist der Allmächtige, der über uns Wacht hält.«
»Das kann man auch so sehen.«
Craig Averell bewies, dass er sich hier bei Elsa auskannte. Er hatte aus einem Nebenraum die Teekanne geholt und ließ das Getränk in die schmalen Tassen fließen. Es herrschte zwischen uns eine gespannte Stille, so war das Plätschern der Flüssigkeit zu hören, bis er die Kanne auf einem Eisenring abstellte.
Elsa trank den Tee mit etwas Milch. Ich nahm ein Stück Zucker und ließ dabei die Frau nicht aus den Augen, die den Kopf gesenkt und die Stirn gerunzelt hatte.
Nach dem ersten Schluck begann sie zu sprechen. Ihr Blick war dabei auf die beiden Fenster hinter uns fixiert, und sie sagte mit leiser Stimme:
»Wenn Menschen Wind säen, werden sie irgendwann einmal Sturm ernten. Das war schon immer so, das wird auch so bleiben. Glauben Sie mir, auch wenn die heutige Generation darüber lacht. Aber die alten Regeln werden immer gelten.«
»Hat man hier den Wind gesät?«, fragte ich.
»Ja, Mr. Sinclair, man hat.«
»Und wie sah das genau aus?«
»Ich bin nicht dabei gewesen. Es liegt schon lange zurück, sehr lange. Aber ich kenne es aus Erzählungen. Es kam ein Fremder hier in das Dorf. Die Menschen mochten ihn nicht, denn er sah anders aus als sie. Er muss müde von einer langen Reise gewesen sein, zudem besaß er einen fremden Namen.«
»Vurvolak?«, fragte Suko.
»Sie wissen gut Bescheid.«
»Das liegt an Craig.«
»Muss ich dann noch etwas sagen?«
»Jede Menge, Wir kennen keine Einzelheiten. Was erzählt man sich über ihn?«
»Er kam als Prediger. Er wollte das Dorf beherrschen. Er wollte, dass ihm alle gehorchten, denn er bezeichnete sich selbst als Engel, der seinen Platz verlassen hatte und nun ruhelos durch die Welt streift.«
»Wirklich ein Engel?«
»Ja, Inspektor. Das haben die Menschen so zu hören bekommen. Aber sie konnten es nicht glauben, denn sie haben sich von einem Engel ein anderes Bild gemacht. Vurvolak wurde als ein großer düsterer Mann beschrieben. Er besaß auch keine Flügel, wie man es sonst von den Engeln auf alten Bildern kennt. Aber er sprach immer von einem Totenreich, das er suchte. Das er kannte. Das er schon verlassen hatte. Für die Menschen hier war das alles neu. Sie fürchteten sich vor ihm, aber sie unternahmen nichts gegen ihn. Er ging nicht. Er blieb. Er wollte hier seine Zeichen setzte. Er sorgte auch dafür, dass man keine Kirche baute, und das ist bis heute so geblieben.«
Sie trank wieder Tee und überlegte sich die nächsten Worte genau. »Ja, und dann kam die Zeit, als er sein wahres Gesicht zeigte.«
»War er ein
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