1208 - In den Katakomben von Starsen
daß die Eremiten ihn und Chulch einfingen. Zu ungewiß war das Schicksal, das ihn erwartete, wenn er sich erst einmal in der Gewalt der Baumwesen befand. Er mußte sie abwehren, mußte sie vertreiben.
Die Beine schmerzten ihn vom Sturz so sehr, daß er sich an Chulchs Hals klammerte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
„Chulch, du mußt sie fernhalten!" sagte er ernst und eindringlich.
Chulch starrte aus glasigen Augen. Er sah die Blinden Eremiten auf sich zukommen. Die Panik hatte ihn in ihre Fänge geschlagen. Ein konvulsivisches Zittern durchlief den mächtigen Körper. Die Baumwesen waren nur noch acht Meter entfernt.
„Erinnere dich!" drängte ihn der Arkonide. „Erinnere dich an den Kraken. Die Fratres haben dir etwas beigebracht, eine neue Kunst. Du mußt sie jetzt anwenden, oder wir sind beide verloren."
Chulch reagierte noch immer nicht. Die Eremiten bewegten sich langsamer, vorsichtiger. Sie schienen zu ahnen, daß sie es hier nicht mit derselben Art von Geschöpfen zu tun hatten, die ihnen üblicherweise als Opfer geliefert wurden. Sie spürten die Gefahr, die von den beiden ungleichen Wesen ausging.
„Chulch! Erinnere dich..."
Da pfiff einer der weit ausladenden Äste heran. Mit der Wucht einer heftig geschwungenen Peitsche klatschte er über Chulchs Rücken. Chulch zuckte zusammen. Ein drohendes Knurren rollte in seiner Kehle.
Er wandte sich halb zur Seite, den Blick auf die Blinden Eremiten gerichtet. Er fixierte den Baum, dessen Ast ihn geschlagen hatte.
Das Feuer entstand aus dem Nichts. Es entsprang auf einem der unteren Äste des Eremiten, Gelblichblaue Flämmchen leckten an dem zundertrockenen Holz, liefen flink den Ast entlang, erreichten den Stamm und krochen an ihm empor. Mit einem dumpfen Knall sprang rötliche Lohe in die Höhe und hüllte den Baum ein. Knisternd und knatternd vergingen Äste und Zweige in der sengenden Hitze.
Die übrigen sechs Eremiten wichen in panischer Hast zurück. Sie fürchteten sich vor dem Feuer, das war unverkennbar. Die trockene Substanz ihrer baumähnlichen Leiber, das hatte Chulch soeben bewiesen, entflammte unter geringfügigster Hitzeeinwirkung. In sicherer Entfernung hielten sie an. Zitternd und wispernd bewegten sich ihre Zweige. Die Wurzeln Tingelten und wanden sich, jeden Augenblick zur Flucht bereit. Was mit ihrem Artgenossen geschah, mußte für die Blinden Eremiten ein furchteinflößendes Rätsel sein.
Der brennende Stamm des Baumes brach auseinander. Polternd fielen die Bestandteile des mächtigen Strunks zu Boden, zerbarsten knallend und entsandten einen knisternden Funkenregen in die flimmernde Luft. Weiße Asche stob auf und wirbelte in der Hitze davon.
Das gab den Ausschlag. Kräftige Wurzeln peitschten den Boden. In wilder Flucht eilten die sechs Eremiten davon. Ihre vibrierenden Äste gaben schrille Läute von sich. Drüben am Wasserlauf hatten die übrigen vier Baumwesen das unglaubliche Geschehen starr vor Entsetzen verfolgt. Jetzt gerieten auch sie in Bewegung. Mit peitschenden Asthieben wurden die Gefangenen zusammengetrieben. Den reglosen Körpern, die auf der Wasserfläche schaukelten, schenkten die Eremiten keine Beachtung. Getrieben von den harten Schlägen, stoben die Gefangenen davon. Zwei der Eremiten hatten den Flankenschutz übernommen und sorgten dafür, daß keines der Opfer zur Seite hin ausbrach.
Inzwischen hatten die Fliehenden das Ufer erreicht. Bedenkenlos stürzten sie sich ins Wasser. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit fanden sie sich in dem für sie ungewohnten Medium zurecht. Peitschend wirbelten die Wurzeln Schaum und Gischt auf. Binnen weniger Augenblicke gewannen die sechs Eremiten das jenseitige Ufer. Mit unverminderter Geschwindigkeit eilten sie hinter dem Zug der Gefangenen her.
Atlan und Chulch sahen ihnen nach, bis sie im Dunkel der Ferne verschwunden waren. Eine Zeitlang noch hörte man das aufgeregte Zirpen der Eremiten, hier und da den Schmerzenslaut eines Gefangenen. Dann verstummten auch diese Geräusche.
Nachdenklich trat der Arkonide auf die Stelle zu, an der die Überreste des zerstörten Eremiten schwelten.
Mit der Stiefelspitze stocherte er in der Asche herum. Sein Gesicht war verschlossen. Bitterkeit spiegelte sich in der harten, dünnen Linie des Mundes.
„Ich wußte nicht... daß es so fürchterlich ist!" stöhnte Chulch. „Welch eine häßliche Gabe haben die Fratres mir verliehen."
Atlan sah ihn an.
„Worüber beschwerst du dich? Es war ein abscheulicher, grausamer,
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