1209 - Die Pest-Gitarre
atmen. Er saugte die veränderte Luft in kleinen Schüben durch die Nase ein.
Die Musik blieb und hatte sich verändert. Es gab bei ihr keine Melodie mehr. Es war, als spielte seine Freundin einfach ins Leere hinein. Sein Blick wurde wie magisch von ihren Händen angezogen. Er konnte nur sie sehen, und wichtig war dabei die rechte Hand.
Sie bewegte sich noch, und sie berührte dabei auch die Saiten.
Aber sie wurde nicht mehr von ihrer Besitzerin beherrscht.
Ebenso gut hätte auch eine Hühnerklaue über die Saiten streichen können.
Es war nicht besonders hell im Raum. Trotzdem erkannte Pee mit Schrecken, dass sich die Hand verändert hatte. Die Haut war längst nicht mehr so hell. Sie hatte dunkle Flecken bekommen, die sich leicht nach oben hin ausbeulten.
Pee hatte nie richtige Geschwüre gesehen. In diesem Fall glaubte er, dass es welche waren. Auf seinem Gesicht malte sich ein Ausdruck des Ekels ab. Er wich auf dem Stuhl zurück so weit wie möglich. Irgendwie wollte er Distanz zwischen sich und seine Freundin bringen, die nicht mehr die Gleiche war.
Sie hob den Kopf an.
Jetzt konnte Pee dem Anblick des Gesichts nicht mehr ausweichen, und er unterdrückte auch den Schrei nicht, als er die Flecken auf der Haut sah. Dunkle Male, die an verschiedenen Stellen zu sehen waren.
Auf den Wangen, der Stirn, auch am Kinn. Die Haut darum herum sah schlimm und alt aus. Das war nicht mehr die Ruby, die er kannte. Vor ihm saß eine Person mit ebenfalls verändertem Ausdruck in den Augen.
Sie spiegelten keinen Optimismus mehr wider, nur noch die große Depression.
Ruby spielte auch jetzt weiter! Aber ihre Hand sah aus, als würde sie ihr nicht mehr gehorchen. Die gekrümmten Finger rutschten nur noch nach unten, und wenn sie die letzte Saite hinter sich gelassen hatte, dann fiel die Hand schlaff zurück auf die Beine.
»Ruby!«, schrie er sie an. »Was ist mit dir?«
Sie blickte nicht mal auf.
Pee drehte fast durch. Der Gestank wühlte seinen Magen auf, aber was er dann sah, war noch schlimmer.
Wieder schlug Ruby zu.
Wieder rutschten ihre Fingerkuppen über das Metall hinweg, und dabei fielen zwei ab…
***
Wir hatten das Haus verlassen, noch mal über unser Vorgehen gesprochen, und Bill Conolly war dabei ein Gedanke gekommen.
»Moment mal, Alex, ich habe eine Idee.«
»Was denn?«
Bill legte Alex eine Hand auf die Schulter. Nebeneinander gingen sie durch die Einfahrt, wo niemand auf uns lauerte und uns die feuchte Luft wie Balsam vorkam.
»Sie kennen Pee doch gut.«
»Klar.«
»Dann rufen Sie ihn einfach an.«
Steel blieb stehen. »Wie? Jetzt?«
»Ja, wann sonst?« Bill drehte sich und warf mir einen fragenden Blick zu.
»Bingo«, sagte ich nur.
Alex Steel war etwas verwirrt. »Was soll ich denn sagen?«
Bill winkte lässig ab. »Ihr seid doch ein kreativer Verein. Ist es nicht möglich, dass Ihnen mitten in der Nacht eine Idee gekommen ist, über die Sie mit Pee reden wollen?«
»Ja, das wäre ein Grund.«
»Na also, dann ran!«
Alex Steel fragte: »Soll ich es bei ihm in der Wohnung versuchen oder auf seinem Handy?«
»Erst mal die Wohnung«, sagte ich.
»Gut.«
Er hatte die Nummer gespeichert, rief sie ab, und dann hieß es warten.
Bill und ich umstanden ihn gespannt, aber es tat sich leider nichts. Pee meldete sich nicht. Es war auch kein Anrufbeantworter eingeschaltet.
Unsere Chancen waren um die Hälfte gesunken. Alex versuchte, Pee über dessen Handy zu erreichen, aber auch da hatte er Pech, was uns nicht einmal überraschte.
»Er ist nicht erreichbar«, flüsterte Alex. »Ich glaube, dass es einen Grund haben muss. Pee hat etwas zu verbergen. Verdammt, er geht in der Nacht immer an den Apparat. Jetzt will er für sich allein sein, denke ich.«
»Was nicht heißen muss, dass er sich nicht in der Wohnung aufhält«, meinte Bill. »Was sagst du, John? Sollen wir trotzdem hinfahren und nachschauen?«
»Ich sehe im Moment keine andere Möglichkeit. Dann gibt es noch die Mitglieder der Band.«
»Eben.«
»Die möchte ich nicht aus dem Bett werfen.«
»Ruby! Ruby Längster!« Alex Steel hatte den Namen so laut ausgesprochen, dass wir ihn nicht überhören konnten. Trotzdem blickten wir ihn überrascht an.
»Ja, so heißt die Freundin von Pee. Jetzt ist mir der Name wieder eingefallen. Ruby Längster.«
»Super!«, lobte ihn Bill, bevor er mich fragte: »Anrufen?«
»Nein!«, entschied ich. »Wir fahren hin!«
»Warum so plötzlich?«
»Weil mir mein Gefühl sagt, dass es besser
Weitere Kostenlose Bücher