1209 - Die Pest-Gitarre
ist, wenn wir ihr einen Besuch abstatten.«
»Aber die Anschrift kenne ich nicht«, flüsterte Alex Steel.
Ich winkte ab. »Das ist kein Problem. Manchmal hat es auch seine Vorteile, Polizist zu sein.«
»Ja, verstehe.«
Diesmal telefonierte ich. Mit den Kollegen von der Nachtschicht…
***
Nein! Nein! Nein! Es waren Schreie, die nicht aus dem Mund des Musikers drangen und nur durch sein Gehirn irrten. Er konnte es nicht fassen. Es war einfach zu grauenhaft.
Vom Mittel- und Ringfinger waren die beiden Spitzen abgefallen.
Wie altes welkes Fleisch, das nicht mehr gebraucht wurde. Sie lagen vor Rubys Füßen auf dem Boden. Das schien sie nicht mal gemerkt zu haben, denn sie wollte unbedingt weiterspielen. Nur fehlten ihr jetzt die beiden Fingerenden, als sie die Saiten anschlug. Der Mittelfinger und der Daumen rutschte über das Metall hinweg.
Auch sie hatten sich bereits verändert. An den Enden schimmerten sie grau und bläulich. Bald würden auch sie abfallen.
Wie bei der Pest.
Und die Gitarre trug die Schuld daran. Dann war dieses Instrument eine Pest-Gitarre.
Pee wusste nicht, was er da noch Glauben sollte. Er kannte seine Gitarre. Zumindest glaubte er das. Mit dieser höllischen Überraschung allerdings hätte er nicht gerechnet. Er wusste nicht mehr, was er unternehmen sollte.
Ruby spielte weiter. Es interessierte sie nicht, dass nicht mehr alle Finger normal vorhanden waren. Sie produzierte Klänge, die zum größten Teil aus Misstönen bestanden. Jede ihrer Bewegungen blieb nicht mehr auf den rechten Arm beschränkt, sie beugte auch ihren Körper vor, wenn sie die Saiten berührte.
So saß sie in ihrem Sessel, schwankte dabei nach vorn und wieder zurück. Auch der Kopf wackelte. Sie hatte sich in eine Puppe verwandelt. Das Menschsein war immer weiter zurückgedrängt worden.
Dann fiel der Zeigefinger ab! Der entsetzte Pee verfolgte den Weg in Richtung Fußboden.
Obwohl die Hälfte des Fingers mit einer normalen Geschwindigkeit nach unten fiel, hatte er den Eindruck, diesen Vorgang in Zeitlupe zu erleben. Seine Augen hatten sich geweitet.
Starrer konnte ein Blick nicht mehr werden wie bei ihm. Sein Mund war nicht geschlossen, die Lippen zitterten, und er musste einfach auf die verkrüppelte rechte Hand schauen, deren Finger nur noch zur Hälfte vorhanden waren, denn auch der Daumen brach ab und der kleine Finger ebenfalls.
Er sah kein Blut. Normalerweise hätte es aus den Wunden fließen müssen. Stattdessen sickerte eine bräunliche Flüssigkeit hervor, in die weißliche Schlieren eingeschlossen waren. Sie fiel in schweren Tropfen zu Boden, und Pee glaubte, jeden Aufschlag zu hören.
Trotzdem spielte seine Freundin weiter. Jetzt rutschte die verunstaltete Hand über die Saiten hinweg. Die Akkorde hörten sich schwer und bleiern an. Sehr langsam trieben sie durch den Raum, und Ruby kippte mal nach vorn, raffte sich wieder auf und fiel zurück. Dabei schlug ihr Kopf jedes Mal gegen die Rückenlehne, wobei die Haut in ihrem Gesicht zu zittern begann. Sie war längst nicht mehr so fest, wie es hätte sein sollen. Sie war weich und labrig geworden.
Das Entsetzen war bei Pee noch immer vorhanden. Allmählich schaffte sich auch die Realität Platz. Ihm wurde klar, dass er seiner Freundin nicht mehr helfen konnte. Das war vorbei.
Die andere Seite hatte brutal zugeschlagen, er hätte die Gitarre nicht aus der Hand geben dürfen.
Noch immer saß sie da wie eine Puppe. Beugte sich nach vorn, drückte sich wieder zurück. Wurde durchgeschüttelt, hielt den Mund offen, aus dem röchelnde und verzweifelt klingende Laute drangen.
Sie starb.
Sie wurde vor seinen Augen umgebracht.
Plötzlich sprang Pee in die Höhe. Er hatte seine Angst überwunden.
Er wusste jetzt, was er tun musste, und er konnte nur hoffen, dass es nicht zu spät war.
Mit einer linkischen Bewegung ging er nach vorn. Dabei stieß er gegen den kleinen Tisch und warf ihn um. Er fürchtete sich davor, seine Freundin zu berühren. Deshalb war er einzig und allein auf die Gitarre fixiert, die er packte und ihr aus den Händen riss, so heftig, dass dieses Instrument gegen ihn prallte und er mit ihm zurückweichen musste.
Ihre Hände waren jetzt leer. Aber sie hockte noch immer im Sessel.
Sie sah aus wie ein Mensch, sie war auch einer, aber sie war auch schrecklich gezeichnet.
An ihrer rechten Hand waren die Finger nur noch zur Hälfte vorhanden. Die anderen Reste lagen vor seinen Füßen auf dem Boden.
Als er hinschaute, erinnerten
Weitere Kostenlose Bücher