1209 - Die Pest-Gitarre
die Wohnung trug.
Ruby schloss die Tür. »Der Kaffee ist gerade fertig geworden. Ich muss nur noch Tassen auf den Tisch stellen.«
»Super, danke.«
Obwohl Ruby die Neugierde wie einen großen Druck verspürte, stellte sie keine Fragen. Pee sollte erst zur Ruhe kommen. Er setzte sich in den grünen Sessel, der andere war mit braunem Stoff bezogen, und lehnte die Gitarre so behutsam gegen die Wand, als wäre sie aus purem Gold.
Der Tisch zwischen den Sesseln war klein, quadratisch, und für zwei Personen war Platz genug vorhanden.
Pee sagte nichts. Er schaute auf seine Füße. Manchmal hob er die Schultern oder lachte leise, was im Klappern des Geschirrs unterging.
Ruby stellte Tassen und Unterteller auf und schenkte den Kaffee aus der Thermoskanne ein. Beide nahmen weder Zucker noch Milch. Als sie die ersten Schlucke genossen hatten, lehnte sich Ruby zurück und nickte ihrem Freund zu.
»So, jetzt bin ich gespannt, aus welchem Grund du mich in der Nacht so überfallen hast.«
Pee senkte den Kopf. »Ein Überfall ist das nicht gewesen. Auf keinen Fall.«
»Gut - ja.« Sie nickte. »Ich habe mich vielleicht etwas zu drastisch ausgedrückt. Aber was ist es dann?«
»Eher eine Flucht!«
Ruby Längster blieb sitzen, als wäre sie zu Eis geworden.
»Nein«, flüsterte sie in die halb erhobene Kaffeetasse hinein, »das kann doch nicht wahr sein. Wovor bist du denn geflohen? Hast du Mist gebaut? Ärger mit den Bullen?«
»Überhaupt nicht. Es war eine Flucht vor mir selbst. Vor meiner bisherigen Existenz. Ich konnte nicht anders handeln, die Probleme sind einfach zu groß geworden. Jetzt schwappten sie über. Ich treibe in ihrem Meer.«
Ruby hatte alles genau verstanden, aber es hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie wusste momentan nicht, wie sie den Gesprächsfaden wieder aufnehmen sollte. Schließlich meinte sie mit leiser Stimme:
»Aber du bist nicht zu mir gekommen, um dich auszuschweigen. Du willst mit mir über deine Probleme reden.«
»Schweigen? Wie kommst du darauf?«
»Nun ja. Ich denke mir, dass deine Probleme nicht von heute auf morgen zustande gekommen sind. Die müssen dich bereits länger beschäftigt haben.«
»Stimmt.«
»Seit wann genau?«
Pee war unsicher. »Das kann ich nicht sagen. Wenigstens nicht auf den Tag. Es hat da schon Ärger gegeben. Es fing alles mit dem Erwerb der Gitarre an. Ich habe immer gespürt, dass sie etwas Besonderes ist.«
»Richtig. Ich kann mich erinnern, dass du darüber mal gesprochen hast. Ich habe nie mehr darüber nachgedacht. Ich weiß auch nicht, von wem du die Gitarre hast. Habe ich vergessen.«
»Von einem alten Mann. Ich habe ihn auf einem Konzert mit den Tombstones getroffen.«
»Genau.« Sie nickte.
»Jetzt fällt es mir wieder ein. Und weiter…?«
»Nichts weiter, Ruby. Er gab sie mir. Er hat sie mir überlassen, weil er mich als seinen Erben für das Instrument ausgesucht hat.« Pee lehnte sich zurück und schaute gegen die Decke, als wollte er sich die Szene in die Erinnerung zurückrufen.
»Er überließ sie mir, und er hat mir auch erklärt, dass die Gitarre ein besonderes Instrument ist. Sogar ein einmaliges auf der Welt. Davon gibt es kein zweites. In ihr sollte eine gewaltige Kraft stecken, und dass dies so ist, habe ich in dieser Nacht feststellen müssen.«
»Und was ist da genau passiert?«
Pee sah sich verschwörerisch um, als wollte er herausfinden, ob irgendwelche fremden Zuhörer im Zimmer waren. »Ich kann, wenn ich die Gitarre spiele, jemand beschwören.«
»Toll.« Ruby lachte. »Das habe ich gewusst, Pee. Du bist super. Wenn du spielst, sind die Leute hin und weg. Das schafft nicht jeder. Das ist schon so etwas wie eine Beschwörung.«
Er hatte Ruby ausreden lassen, um sie dann zu korrigieren.
»Nein, so ist das nicht. Wenn ich beschwören sage, dann meine ich das auch so. Begreifst du?«
»Nein!«
Pee schaute seine Freundin starr an. Sie konnte nicht anders, als auch in sein Gesicht zu blicken. »Ich kann mit dieser Gitarre Geister beschwören. Wenn ich auf ihr spiele, verlassen sie ihr Reich und sind leibhaftig zu sehen.«
»Du bist verrückt!«
Pee nickte. »Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber ich bin nicht verrückt. Die Geister erscheinen. Unheimliche, feinstoffliche Lebewesen, und ich tue nichts dazu. Ich spiele einfach nur Gitarre. Ich schlage die Saiten an, um irgendetwas erklingen zu lassen. Dann werden sie gelockt. Ich brauche nicht mal eine bestimmte Melodie zu spielen, auf die sie hören. Es
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