121 - Das Dorf der lebenden Toten
zog mich magisch an. Ihm schenkte ich meine besondere Aufmerksamkeit.
Das, was ich suchte, stand nicht im Regal. Vielleicht hatte Ralph eine kleine Privatbibliothek in seinem Zimmer. Ich stieg die Treppe hinauf.
Drei Türen öffnete ich… Nichts. Aber dann… Mein Magen krampfte sich zusammen, mir wurde übel. Ich mußte mich mächtig zusammenreißen, um nicht die Treppe hinunterzurennen und fluchtartig das Haus zu verlassen.
Ralph Adams hatte die Gefahr gekannt, und trotzdem war er ihr zum Opfer gefallen. Ich atmete tief durch. Der süßliche Blutgeruch stieg mir in die Nase, und ich merkte, wie meine Nerven vibrierten.
Ich nahm die Tatwaffe, ein Rasiermesser, auf. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch hinter mir. Blitzschnell drehte ich mich um… und sah Natalie Parks.
***
Sie schaute fassungslos an mir vorbei - auf das blutige Bett, auf den Toten, auf das Rasiermesser in meiner Hand.
»Was haben Sie getan?« stieß sie entsetzt hervor, »Sie mißverstehen die Situation«, antwortete ich.
»Was gibt es denn da mißzuverstehen ? Sie haben Ralph umgebracht. Sie halten ja noch die Tatwaffe in der Hand!«
»Ralph Adams ist seit mindestens zehn Stunden tot.«
»Das können Sie mir nicht einreden, Mr. Ballard!« schrie das schwarzhaarige Mädchen, »Das läßt sich beweisen«, sagte ich und ging auf Natalie Parks zu.
Sie schaute mir entgeistert in die Augen. »Was… was haben Sie vor? Wollen Sie nun auch mich…? Natürlich, das müssen Sie ja, denn ich habe Sie in flagranti erwischt. Sie müssen mich zum Schweigen bringen… Bleiben Sie stehen, Mr, Ballard. Kommen Sie keinen Schritt näher,«
Ich blieb stehen. »Seien Sie vernünftig, Natalie. Ich will Ihnen nichts tun, und ich habe mit diesem abscheulichen Mord nichts zu tun.«
Sie kniff die Augen mißtrauisch zusammen. »Wer sind Sie, Mr. Ballard? Wer verbirgt sich hinter Ihrem vertrauenerweckenden Aussehen wirklich?« Ich versuchte, sie davon zu überzeugen, daß sie von mir nichts zu befürchten hatte, doch sie glaubte mir kein Wort. Sie rannte die Treppe hinunter und aus dem Haus.
Draußen schrie sie gellend um Hilfe, und wenige Minuten später nahmen mich zwei Gendarmen fest und führten mich ab. Sie stießen mich unsanft in die Arrestzelle und überhörten meine Unschuldsbeteuerungen.
Natalie Parks hatte behauptet, Ich wollte auch sie umbringen. Es war lächerlich, aber für sie schien es so ausgesehen zu haben. Man ließ mich nicht telefonieren und benachrichtigte meine Freunde nicht.
Als ich den Bürgermeister zu sprechen verlangte, höhnten die Beamten: »Warum nicht gleich Maggie Thatcher? Oder gar die Queen?«
Ich nahm es ihnen nicht übel. Sie taten, was sie für richtig hielten. In ihren Augen mußte ich ein Mörder sein. Resignierend setzte ich mich auf die Pritsche, lehnte mich an die kalte Wand und wartete.
***
Mitchell Brown hatte das Haus verlassen. Helen befand sich mit Paul Sturges in ihrem Zimmer, und Lance Selby spielte mit Andy. Er baute mit dem Kleinen ein Schloß aus Lego-Steinen.
Andy verlangte hier noch ein Türmchen, da noch einen Erker, Er stellte kleine Figuren auf die Zugbrücke, »Warst du schon mal in unserer Scheune?« fragte der Junge nebenbei. »Wir hatten früher eigene Felder. Ist lange her, sagt Dad. Aber die Scheune gehört uns noch. Sie befindet sich gleich hinter unserem Haus. Mr. Meeker stellt seine Maschinen bei uns ein.«
Lance Selby steckte noch eine Fahne auf den höchsten Turm, dann sagte er: »So, Fertig… Nein, eure Scheune habe ich mir noch nicht angesehen.«
»Soll ich sie dir zeigen?« fragte Andy, »Gute Idee«, sagte der Parapsychologe.
Er hatte einen Hintergedanken. Was geschieht mit den Särgen, die Duncan Sharp bringt? fragte er sich. Verschwinden sie nach einiger Zeit wieder, oder bringt Sharp sie irgendwo unter? Vielleicht in der Brownschen Scheune?
Hatte der Todbringer die Scheune zum Sarglager umfunktioniert? Es war auf jeden Fall ratsam, sich darin umzusehen. Andy übernahm gern die Führung.
»Zieh dich warm an«, verlangte Lance Selby.
Wenig später verließen sie das Haus durch die Hintertür. Zur Scheune waren es nur ein paar Schritte. Andy sagte, er würde gern dort drinnen spielen.
»Dad erlaubt es zwar nicht, aber hin und wieder schleiche ich mich doch hinein«, sagte der Junge und lächelte verschmitzt.
»Es wäre besser, wenn du mehr auf deinen Vater hören würdest«, sagte Lance Selby. »Es ist gefährlich, auf landwirtschaftlichen Maschinen herumzuturnen. Da gibt
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