1212 - Niemand hört die Schreie
ist auch das völlig Normalste auf der Welt, einem Vampir Unterschlupf zu gewähren.«
»Sie hat mir nichts getan.«
»Das kann ich mir denken. Wäre es anders gewesen, wir hätten uns nicht so unterhalten können. Das stimmt schon. Mensch und Vampir in Lebensgemeinschaft. Das ist schon etwas. Nur funktioniert so was in der Praxis kaum oder gar nicht. Es sei denn, man bekommt den nötigen Druck. Ich wundere mich einfach und frage Sie, ob Sie diese Person von der Straße aufgelesen oder aus einem Sarg oder einer Gruft geholt haben…«
»Hören Sie auf zu spotten, Mr. Sinclair. So ist es nicht gewesen.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Ich habe einer Freundin einen Gefallen getan.«
Eine klare Antwort, die mich trotzdem leicht irritierte. »Einer Freundin?«
»So sagte ich es.«
»Ist diese Freundin auch ein Vampir?«
Betty Florman zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie ist eben eine Freundin.«
»Die unbedingt Unterschlupf für eine Blutsaugerin suchte.«
Ich musste lachen. »Das kann ich wirklich schlecht nachvollziehen. Nein, wirklich, Mrs. Florman. So etwas können Sie mir nicht erzählen.«
»Wollten Sie nicht die Wahrheit wissen?«
»Ist sie das denn?«
»Ja!«
Ich schaute in ihre Augen. Sie blickte mich ebenfalls an, und ich ging davon aus, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch kannte ich das meiste nicht. Da musste es noch etwas geben, und deshalb stellte ich meine nächste Frage.
»Was sollte denn mit dieser Person geschehen?«
»Sie hätte abgeholt werden sollen.«
»Was auch geschah.«
»Sicher.«
»Und wogegen Sie waren?«
Betty Florman hob die Schultern. Es konnte sein, dass es nicht die richtigen Menschen gewesen waren, die sich um Louise gekümmert hatten. Auf der anderen Seite hatte sie alles mit sich geschehen lassen. Also war sie schon entsprechend vorbereitet. Es wurde verzwickt. Bei der Löung der Fragen konnte mir nur eine Person helfen. Ich wollte weitere Fragen stellen, hielt mich aber zurück, denn es geschah etwas, womit ich bei Betty Florman nicht gerechnet hatte. Plötzlich weinte sie!
***
Es war kein Strom aus Tränen, der aus ihren Augen floss und an den Wangen entlangrann. Es war mehr ein Schluchzen und ein Zucken des Körpers. Ein fast stilles Weinen, das auch für eine Verkrampfung bei ihr sorgte. Ich dachte natürlich über die Gründe nach, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Möglicherweise hatte sie eingesehen, dass sie mit ihrem Gebilde aus Antworten und Lügen nicht ganz durchkam, aber das war auch nur eine Vermutung. Deshalb ließ ich sie zunächst weinen. Sie würde sich schon wieder beruhigen.
Unter einem Kissen holte sie ein Taschentuch hervor.
Schnauzte die Nase und wischte die Augen trocken. Die Lippen hielt sie dabei fest zusammengepresst.
»Wieder okay?«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Ich bin ein geduldiger Zuhörer.« Sie knetete noch immer das Taschentuch zwischen ihren gefesselten Händen. Es tat mir ein wenig Leid, sie so zu sehen, aber ich war vorsichtig und nahm ihr die Handschellen noch nicht ab.
»Ich habe Louise nicht abgeben wollen. Ja, sie war anders, aber wir haben uns gut verstanden. Als der Leichenwagen hielt, habe ich alles versucht, um die Männer davon abzuhalten, sie zu holen. Es hat leider nichts gebracht. Jetzt kann ich mir Vorwürfe machen, dass ich… nun ja, sie ist vernichtet.«
»Das ist alles gut und schön«, sagte ich. »Aber kann ich davon ausgehen, dass Sie den Leichenwagen nicht gerufen haben?«
»Das können Sie!«
Die Antwort gefiel mir. Jetzt war ich schon einen sehr kleinen Schritt weiter. »Wer war es dann? Wer hat den Leichenwagen zu Ihnen geschickt, Mrs. Florman?«
»Das weiß ich nicht.«
Genau das nahm ich ihr nicht ab. Sie wusste mehr, davon war ich überzeugt. Sie hatte auch gewusst, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder allein sein würde. Ihr schien nur die ganze Prozedur nicht gefallen zu haben.
»Doch, Mrs. Florman, Sie wissen es«, sagte ich leise. »Sie wollen es mir nur nicht sagen. Ich gehe davon aus, dass Louise zu einem bestimmten Platz oder an einen bestimmten Ort gebracht werden sollte. Zumindest das können Sie ruhig zugeben.«
»Mag sein.«
»Wohin?«
Sie schüttelte den Kopf.
Ich ärgerte mich darüber. »Mrs. Florman«, sagte ich mit einer Stimme, die nicht überhört werden konnte. »Es ist wirklich besser für Sie, wenn Sie mir alles sagen. Denken Sie an unseren Handel. Ich bin nicht scharf darauf, Sie hinter Gitter zu bringen, aber dabei
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