1214 - Draculas Rivalin?
Schauer rann über ihren Körper hinweg, und die Haut zog sich zusammen. Es war Lockung und Warnung zugleich, aber die Warnung ignorierte sie einfach.
Sie hatte nur Augen für ihre Schwester. Sie wollte, dass Eva die verdammten Fesseln loswurde und sich endlich wieder normal bewegen konnte.
Und so ging sie weiter…
Wieder erlebte sie das Phänomen der Entfernung. Eva und alles andere waren so nahe und trotzdem so weit entfernt.
Normalerweise hätte sie die Frau schon erreichen müssen, aber die Distanz blieb gleich. Sie kam sich vor wie jemand, der auf der Stelle trat, und das konnte sie nicht begreifen.
Irgendwann blieb sie stehen und hob mit einer hilflosen Bewegung die Schultern. Sie wusste nicht me hr, was sie noch unternehmen sollte, aber aufgeben wollte sie auch nicht, und so rief sie mit leiser Stimme Evas Namen.
Eine Antwort blieb aus. Eva bewegte sich auch nicht. Sie blieb in dieser Starre liegen, und es war nicht mal ein leises Klirren der Kettenglieder zu hören.
Allmählich verlor Lilian den Mut. Hatte es überhaupt noch Sinn, weiterzugehen? War es nicht besser, wenn sie den Rückzug antrat und dann versuchte, Hilfe zu holen?
Lilian schwankte. Sie ließ sich von der Unsicherheit treiben und drehte sich um. So schaute sie die Strecke entlang, die sie gekommen war, doch sie suchte vergeblich nach einem Ausgang, nach einer Tür oder einem Gang.
Da war nichts, gar nichts. Sie stand da und blickte in die Finsternis.
Mit einer müden Bewegung wischte sie über die Stirn. Was sie auch anstellte, es blieb gleich. Das Gefühl, in einer anderen Zone oder Zwischenwelt gefangen zu sein, stieg immer stärker in ihr hoch, obwohl sie sich das rational nicht erklären konnte.
Zwischenwelt - dieser Begriff wollte einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Gab es so etwas überhaupt? Sie hatte nie daran geglaubt, wenn sie mal Fantasy-Geschichten gelesen hatte. Das lag schon einige Jahre zurück, aber vergessen hatte sie nichts. Gerade jetzt drängten sich die Erinnerungen wieder hoch.
Lilian drehte sich wieder um - und erschrak!
Das Bild war noch da, aber es hatte sich verändert, denn es war plötzlich…
***
Lilian Sardis konnte zunächst nicht mehr denken. Es war auch kein innerer Anstoß vorhanden, der sie dazu zwang, auf das seltsame Gemälde zuzugehen. Zunächst musste sich Lilian an das neue Bild gewöhnen, das leider keine Täuschung war.
Sie erlebte keine wilden Bewegungen. Auch ihre Schwester blieb noch liegen, als wäre sie gestorben. Allein die Fledermäuse hatten ihre Starre verlassen. Sehr deutlich war zu erkennen, dass sich ihre Schwingen zitternd auf und ab hoben, sie jedoch nicht flogen, sondern auf der Stelle blieben.
Jetzt erst zählte Lilian nach. Sie kam auf ein halbes Dutzend dieser Tiere, die so etwas wie eine Reihe gebildet hatten. Sie erinnerte sich an den Angriff der Fledermäuse. Da hatten sie und John das Geräusch der flatternden Schwingen erlebt, aber hier blieb alles still.
Die Tiere flogen lautlos, und sie blieben dabei auf der Stelle.
Es gab keinen dieser kle inen Vampire, der sich nach vorn bewegt hätte.
Einen Moment später wurde sie abgelenkt. Da waren die Fledermäuse plötzlich uninteressant, denn ihre Schwester war aus dem Zustand erwacht.
Eva bewegte den Kopf. Sie hob ihn sogar an, damit sie über ihren linken Arm hinweg und nach vorn schauen konnte.
»He, Eva…«
Lilian konzentrierte sich auf Evas Gesicht, in dem sich leider nichts veränderte. Der Blick war nach wie vor leer, aber das war für Lilian nicht mehr wichtig. Sie hatte endlich den Beweis bekommen, dass Eva noch lebte.
Es war ihr auch egal, welche Entfernung sie zurücklegen musste. In diesem Augenblick dachte sie nur an Eva. Das eigene Schicksal drängte sie zurück. So schnell es ihre schweren Beine erlaubten, lief sie der Schwester entgegen.
Ja, sie kam näher!
Jemand oder etwas strich über ihr Gesicht hinweg. Vergleichbar mit einem seidenweichen Vorhang, der sie streifte. Lilian wusste nicht, dass sie eine Grenze übertreten hatte, sie dachte an Eva, und sie glaubte fest daran, sie befreien zu können.
Da hörte sie das Flattern!
Es war dieses harte und heftige Geräusch der sich bewege nden Schwingen. Sie kannte es von draußen her. Aber jetzt war sie allein. Es stand ihr kein Helfer zur Seite. John Sinclair war weit weg. Vielleicht hatte Rosetti ihn sogar getötet.
Innerhalb von Sekunden jagten diese Vorstellungen durch ihren Kopf. Aber die hielten sie nicht auf. Sie lief weiter. Sie
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