1218 - Dämonenflucht
entstand der Vorhang, der sich über mich senkte und die Welt um mich herum verschluckte.
Dann war ich weg!
***
Justine Cavallo hatte sich auf Sinclair stürzen und zugreifen wollen, aber den letzten Schritt tat sie nicht. Etwas hielt sie zurück. Eine Warnung, die sich als unsichtbare Mauer aufgebaut hatte und dafür sorgte, dass sie vor dem letzten Schritt zurückschreckte.
So blieb sie stehen, und sie zog auch ihren ausgestreckten Arm wieder zurück. Sie wollte nicht denken, sie konnte es auch nicht, denn zu sehr wurde sie von dem in Anspruch genommen, was sie mit eigenen Augen sah.
Sinclair, ihr Opfer, ihre Nahrung, saß auf dem verdammten Knochensessel und tat nichts. Er hielt sich nur an den Gebeinen fest, die die Armlehnen bildeten, schaute sie an und schien ebenso erstaunt zu sein wie sie.
Plötzlich griff die andere Seite voll zu. Der Körper des Geisterjägers löste sich auf. Dabei flimmerte er, und es wirkte so, als würde eine andere Kraft ihn wegbeamen, um ihn in einer anderen Welt verschwinden zu lassen.
Justine war in ihrem ungläubigen Staunen erstarrt. Was ihr alles durch den Kopf ging, wusste sie nicht, doch sie hütete sich nach wie vor, den allmählich verschwindenden Mann packen zu wollen. Es dauerte nicht mehr lange, da war er ganz weg.
Justine Cavallo stand starr da. Mit geweiteten Augen schaute sie auf den leeren Knochensessel. Sie konnte nicht begreifen, dass noch vor wenigen Sekunden dort jemand gesessen hatte, der ihr nun entrissen worden war. Sinclairs Blut musste sie abschreiben. Er war ihr entkommen. Wieder einmal. Das konnte sie nicht fassen.
Ihre Schultern sanken nach unten. Nichts mehr in ihrer Haltung erinnerte an die Siegerin, die alles im Griff hatte. Sie musste zugeben, wieder nur Zweite geworden zu sein. Das Wissen fraß in ihr wie eine starke Säure.
Über ihre rot geschminkten Lippen drangen zischende Geräusche. Einige Male zuckten beide Hände vor, aber sie hütete sich, den Sessel zu berühren. Immer wenn sie die Fingerspitzen nahe an den Knochen sah, erwischte sie eine Warnung, und so hielt sie sich zurück.
Sinclair war weg. Irgendwohin. Beim Teufel oder auch bei den Engeln. Sie wusste es nicht. Aber sie rechnete damit, dass er nicht für alle Zeiten dort bleiben würde, wo er sich befand, und irgendwann zurückkehrte. Bis dahin musste sie sich die Zeit eben vertreiben.
Justine schaute über den Sessel hinweg durch das zerstörte Fenster nach draußen. Einen Moment hoffte sie noch, Sinclair dort draußen zu sehen, aber er zeigte sich nicht, er war und blieb verschwunden.
Justine entfernte sich vom Knochensessel. Sie spürte, dass in ihr der Hunger tobte und damit die Gier nach Menschenblut.
Sie war ein Vampir, sie würde es bleiben, und sie konnte sich eben nur auf eine bestimmte Art und Weise ernähren.
In der Mitte des Raumes blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken. Sie wollte nicht gegen die Decke schauen. Sie hatte etwas anderes vor. Sie befand sich in einem Haus voller Menschen. Jede Person war eine potentielle Nahrungsquelle für sie, und sie war so sensibel, dass sie das Blut der Personen riechen konnte. Es verteilte sich im gesamten Haus. Es schwebte überall. Es war nur für sie zu riechen, und eine Nahrungsquelle lag nebenan im Bett. Es war kein junger Mensch, und sein Blut besaß auch nicht mehr die Frische wie sie es gern gehabt hätte, aber in ihrem Fall konnte sie einfach nicht wählerisch sein. Die Gier war zu stark, und es interessierte sie auch nicht, dass der alte Mann die Beute eines Anderen werden sollte.
Wenn es darum ging, das Blut eines Menschen zu trinken, da war sich jeder selbst der Nächste.
Justine bewegte sich lautlos auf das Schlafzimmer zu. Die Tür zog sie ganz auf, um mehr Platz zu haben. Aus dem Haus selbst hörte sie nichts. Die Templer schienen in einen tiefen Schlaf gesunken zu sein.
Sie schaute auf das Bett und auf die darin liegende Gestalt.
Beides war nur undeutlich zu sehen, aber Justine wusste genau, wo sie hingehen musste. Nur dort lagen ihre Pfründe, und schon jetzt leckte sie wieder über ihre Lippen hinweg.
Eigentlich war es ein schlechter Anfang für sie, denn sie hatte sich vorgenommen, eine andere Armee aus Blutsaugern aufzubauen. Ihr Interesse galt einer Gruppe von Frauen, die sich selbst als moderne Hexen bezeichneten. In sie hinein wollte sie stoßen, um sich an deren Blut zu laben. Aber wenn es nicht anders ging, musste sie eben den Umweg wählen und bei dem Abbé anfangen.
Der Mann
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