122 - Der Grabräuber
Sam Conway.
„Erichtho schickt dich auf den Höllenpfad!" rief er mit überkippender Stimme. „Dich sieht die Welt nicht wieder, Schnüffler!"
Ein Untoter wollte Fred Archer beißen. Fred wußte, daß dies das Ende bedeutete. Ein kräftiger Biß in die Kehle, und er würde ihm die Körpersäfte aussaugen. Das Leben würde aus ihm weichen. Fred keuchte entsetzt.
Im letzten Moment drängte der aufgedunsene Untote den Beißlustigen zur Seite und bemächtigte sich Freds. Er hob ihn hoch und trug ihn auf den Flur. Fred war halb betäubt und verrückt vor Schmerz. Die Ohnmacht wäre erlösend gewesen, aber sie blieb aus. Der feiste Untote drehte sich um und knurrte den anderen etwas zu. Fred konnte es nicht richtig verstehen; er meinte etwas wie „er ist mein" oder „mein Fleisch" oder „er gehört mir" herauszuhören.
Das Ungeheuer hob ihn auf die Schulter und. rannte mit ihm ins Freie. Regentropfen wurden vom Wind gegen Freds Wangen gepeitscht. Er fühlte sich bald etwas besser. Die Schmerzen ließen nach. Auch sein Unwohlsein war nicht mehr so groß, obwohl sein Leib durch die Laufbewegungen des Scheusals erschüttert wurde. Erleichternd war für Fred, daß der Wind etwas von dem pestilenzartigen Gestank forttrug.
Die Dämmerung hatte begonnen. Der Regen unterstrich noch die Dunkelheit. Viel konnte Fred von seiner Umgebung nicht sehen. Der Weg führte quer über das Land. Der Untote mied die Straßen. Nach allem, was Sam Conway von sich gegeben hatte, nahm Fred an, daß der Feiste ihn zum Lake Chaböt bringen und dort ersäufen wollte.
Der Untote lief langsamer. Sein Rücken beugte sich mehr und mehr dem nassen Erdreich zu. Auch Wesen der Finsternis verfügten nicht über unerschöpfliche Kraftreserven.
Schließlich blieb der Untote stehen und ließ Fred von seiner Schulter gleiten.
„Du", sagte er rauh.
„Was willst du?" fragte Fred.
Ihm war schwindelig. Sämtliche Gliedmaßen taten ihm weh. Der faulige Gestank des Wiedergängers streifte sein Gesicht und ließ die Übelkeit neu in ihm aufsteigen.
„Ich bin dein Freund", versetzte der Untote. „Du mußt mir glauben. Wir sind gleich da, aber ich kann dich nicht mehr tragen. Komm!"
Er ließ ihn los und stapfte voran. Fred hätte jetzt Gelegenheit zum Weglaufen gehabt, aber irgend etwas ließ ihn zögern. Meinte das Ungeheuer es ehrlich? Warum hätte es ihn sonst freigelassen? Fred folgte ihm. Vielleicht will er ein Komplott mit mir schmieden. Möglich, daß ihm sein Dasein zuwider ist und er endlich erlöst werden will.
Hinter einer flachen Hügelkuppe machte Fred die Silhouetten von Baumwipfeln aus. Es waren schlanke Konturen. Zypressen. Jetzt wußte er, daß sie sich in der Nähe des verwahrlosten Friedhofs befanden.
Er schloß auf und hastete dicht hinter dem Ungeheuer her. Plötzlich rutschte dem Untoten etwas aus der Lumpenkleidung. Es fiel zu Boden. Fred bückte sich und hob es auf. Er hielt ein halb durchweichtes Foto in den Händen.
„He!" sagte er. „Du hast etwas verloren."
Verwundert blickte er auf die Abbildung. Sie zeigte ein bildhübsches Mädchen mit sehr kurzen dunklen Haaren.
Leichengeruch schlug ihm entgegen. Der Untote hatte sich umgewandt und war zu ihm getreten. „Das ist Angie", brummte er.
„Angelina Garvin?"
„Ja. Ich habe das Bild gestern abend aus ihrer Wohnung geholt."
Fred warf noch einen Blick darauf, dann reichte er ihm die Aufnahme zurück. Er war froh, als sich der Untote umdrehte und wieder etwas Abstand gewann. Der Gestank war unerträglich.
Sie erreichten das Friedhofstor. Der Untote schob es auf. Als sie zwischen den Gräbern dahinschritten, hielt Fred Archer Ausschau nach Mezzrow Wheaver. Der war aber nicht zu entdecken. Wahrscheinlich hatte er sich in eine Kneipe gesetzt, um die zehn Dollar Trinkgeld an den Mann zu bringen.
Der Untote blieb vor der Kapelle stehen. Der Regen hatte wieder etwas nachgelassen, hatte aber ausgereicht, um das Scheusal von oben bis unten zu durchnässen. Es bot einen erbärmlichen Anblick.
„Warum hast du mir das Leben gerettet?" fragte Fred.
Das Monster beschrieb eine Geste mit der Klaue. „Ich will dir die Geschichte von Angelina Garvin und Jeff Parker erzählen. Vielleicht verstehst du mich dann."
Seine Stimme klang immer noch tief, die Worte waren jetzt aber besser akzentuiert.
„Angelina war Angehörige der Padma-Sekte. Sie strebte die Vollkommenheit an, um zu einer Erleuchteten zu werden. Die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft wollen die Macht des Geistes
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