1222 - Die Jenseits-Sekte
ich sie wieder gesehen habe.« Er wies auf seinen Kopf. »Darin waren die Stimmen verteilt, zwei. Ich weiß natürlich nicht, ob es die von deinen Eltern waren, aber…«
»Ja, Johnny, das kann sein. Das ist durchaus möglich. Ich… ich… glaube dir, weil ich es weiß. Es gibt meine Eltern nicht mehr, aber es gibt sie trotzdem noch.«
»Sie sind tot, hast du gesagt, das müssen wir noch mal festhalten.«
»Ja, das stimmt.«
»Und wie kamen sie ums Leben?«
Suzy schrak zusammen. Sie musste sich vor dieser Frage gefürchtet haben, aber sie hielt die Antwort auch nicht zurück.
»Es war bei einem Flugzeugabsturz. Alle sind ums Leben gekommen. Alle Passagiere. Und es war kein Unglück, sondern ein Attentat, wie man herausgefunden hat. Aber man weiß nicht, wer dahinter steckt. Welche Gruppe, meine ich. Terroristen oder so, aber daran glaube ich nicht, Johnny. Nein, jetzt nicht mehr.«
»Warum denn nicht?«, fragte er erstaunt.
Suzy zog sich in die äußerste Ecke der Couch zurück. »Das darf ich gar nicht sagen, wirklich nicht. Das ist schon so etwas wie eine Todsünde.«
»Ach komm, stell dich nicht so an. Jeder macht sich so seine Gedanken.«
»Aber meine sind schlimm.«
Johnny umfasste ihre Schultern. »Bitte Suzy, du musst gerade jetzt Vertrauen zu mir haben. Es ist wichtig.«
»Gut«, flüsterte sie. »Du hast ja Recht. Aber ich schäme mich so, das kannst du mir glauben.« Sie suchte noch nach den passenden Worten und ließ ihren Blick durch das Zimmer gleiten, aber dort hielt sich kein Fremder auf. »Ich schäme mich noch immer«, sagte sie mit leiser, hektisch klingender Stimme. »Aber ich habe das Gefühl, dass der Absturz kein Attentat gewesen ist.«
»Nein…?«
Vor der nächsten Antwort weiteten sich Suzys Augen. Es war zu erkennen, unter welchem Druck sie stand. »Ich glaube eher daran, dass sie es selbst getan haben. Die… die… Himmel, es ist so schrecklich… also, die Passagiere haben sich selbst in die Luft gesprengt. Sie schmuggelten die Bombe ein. Wie auch immer.«
Johnny blies die Luft aus. Er wünschte, sich verhört zu haben, aber das war nicht der Fall. Jedes Wort hallte in seinem Kopf nach wie ein böses Echo.
»Meinst du… sprichst du… von einem kollektiven Selbstmord?«
»Genau.«
Er schloss die Augen. Erinnerungen strömten auf ihn ein. Sie setzten sich zusammen aus bebilderten Zeitungsberichten. Er wusste, dass es Sekten gab, die kollektiven Selbstmord begangen hatten. In der Schweiz war das geschehen, aber auch in Kanada. Die Ereignisse lagen noch nicht zu lange zurück, als dass die Erinnerung daran schon verschwunden wäre.
»Glaubst du mir nicht?«
Johnny öffnete die Augen wieder. Er stöhnte auf. »Ja, ich glaube dir. Ich glaube dir alles, denn so unwahrscheinlich ist das nicht.«
»Ja, ich weiß.«
Johnny wischte mit der Hand zwischen Suzys und seinem Gesicht hin und her. »Als ich die Stimme hörte, da habe ich auch etwas verstanden. Zuerst wollte ich es nicht glauben, aber jetzt muss ich wieder daran denken. Sie sprachen von einer Jenseits-Sekte.«
Suzy stockte für einen Moment der Atem. »Genau das ist es. Die Jenseits-Sekte.«
»Die kennst du?«
»Ja.«
»Woher?«
Sie schlug die Augen nieder. »Von meinen Eltern. Sie haben darüber gesprochen, wenn sie meinten, dass ich es nicht hören würde. Beide gehörten dieser Sekte an.«
Johnny begriff sehr schnell. »Und die anderen Passagiere in dem Flugzeug wohl auch.«
»Das kann sein.«
Johnny schüttelte den Kopf und schluckte. »Verdammt, das ist nicht cool. Das ist sogar eine große Scheiße. Sie sind tot und trotzdem nicht tot. Sie kommen sogar als Geister zu dir zurück. Warum? Was wollen sie von dir? Haben sie in ihrem verdammten Jenseits keine Ruhe gefunden?«
»Ich soll zu ihnen kommen«, gab sie leise zur Antwort.
»Was?« Johnny wäre beinahe in die Höhe gesprungen. »Sie wollen dich holen?«
»Klar.«
»Warum denn?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich hätte ja eigentlich in dieser verunglückten Chartermaschine sein sollen, doch es war kein Platz mehr frei. Aber meine Eltern haben mir versprochen, dass sie mich holen würden. Das war vor dem Flug. Nur habe ich das nicht so begreifen können. Es ist ja auch fast ein Jahr vergangen, und in der Zeit kann man schon etwas vergessen.«
»Das stimmt«, murmelte Johnny. »Wer hätte gedacht, dass das Abholen so aussehen würde?«
»Ich bestimmt nicht.«
»Und jetzt sind sie wieder da.«
»Klar.« Sie streichelte seine Wangen.
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