1225 - Die Reliquie
er auch hier in der Kirche ohne Wasser gewesen.
Wir unterhielten uns nicht, sondern leuchteten in die Runde.
Zwei helle Geister huschten durch diese düstere Welt, die nicht nur finster, sondern auch feucht und klamm war. An den Wänden und auf dem Fußboden schimmerte die Feuchtigkeit, wenn die Lichtkegel sie trafen. Es roch nach altem Wasser, nach fauligen Pflanzen, die wir auch entdeckten. An manchen Teilen der Wände hingen sie wie eine schaurige Dekoration.
Sie klebten auch an der Decke oder lagen auf dem Boden, wo sie auf den Steinen eine glatte Schicht hinterlassen hatten.
Wenn wir von einer Gruft sprechen, dann war sie recht groß.
Man hätte hier mehrere Särge aufstellen und die Mitglieder einer großen Familie begraben können.
Es gab aber nur einen Sarg.
Als wäre er ein Magnet und unsere Strahlen Eisenspäne, so wurde das Licht von ihm angezogen. Suko und ich standen jetzt nebeneinander. Wir gingen mit kleinen Schritten auf das Ziel zu, das nicht aus normalem Holz, sondern aus Stein bestand. Schon auf eine gewisse Entfernung hin war zu erkennen, dass jemand den Sarg geöffnet hatte. Sein Deckel lag schief auf dem Unterteil.
Es war uns klar, dass Eric Tallier hier seine Knochen gefunden hatte, und erst als wir den Sarg erreicht hatten, blieben wir stehen. Suko und ich bewegten den Deckel gemeinsam und schoben ihn zur Seite. Er bekam das Übergewicht, kippte nach, vorn, berührte den Boden, und wir ließen ihn schief stehen.
Wir leuchteten in den Sarg hinein.
Er war recht tief. Er verengte sich zum Grund hin. Auch in ihn war die Feuchtigkeit hineingedrungen und hatte ihre Spuren an den Wänden hinterlassen. Würmer und Käfer hatten es geschafft, ihn in Besitz zu nehmen, das Getier huschte aus dem hellen Licht der Lampen weg, als wir den Sarg ausleuchteten.
Ja, da lagen die Knochen!
Aber sie waren nicht zu einem Skelett geformt. Sie bildeten keinen Körper, sondern lagen so durcheinander im Unterteil, als hätte jemand sie verstreut.
Und es gab einen Kopf!
Einen Schädel, der an einem Ende des Sargs lag und nicht berührt worden war. Er kam mir sogar recht groß vor, als ich darüber hinwegleuchtete, und auch Suko zeigte sich überrascht.
Er sagte zunächst nichts, aber er konzentrierte seinen Lichtkegel ebenfalls auf den bleichen Totenschädel mit den leeren Augenhöhlen, dem Mund, den Nasenlöchern und der glatten Rundung, durch die nicht einmal haarfeine Risse liefen.
Er räusperte sich und stellte die Frage an mich. »Ist es das, was wir finden sollten?«
»Keine Ahnung.«
»Oder ist es das, was Eric Tallier gesucht hat?«
Es war eine gute Frage, auf die ich momentan noch keine Antwort wusste. Mir schoss da zuviel durch den Kopf, und wie in Trance leuchtete ich die Knochen an.
Wie schon erwähnt, die Gebeine lagen nicht fein säuberlich zusammen. Sie sahen aus, als hätten Hände mit ihnen gespielt und für dieses Durcheinander gesorgt.
»Was hast du mit deiner letzten Frage bezweckt, Suko?«, erkundigte ich mich.
Mit der freien Hand strich Suko über seinen Nasenrücken.
»Das ist eigentlich simpel, wenn auch schwer zu begreifen. Ich frage mich, warum Tallier nur drei Knochen mitgenommen hat und nicht den Totenschädel. Ich könnte mir vorstellen, dass er am Wichtigsten ist. Meines Erachtens ist er eine Reliquie. Sie steht zudem noch an ihrem normalen Ort. Davon gehe ich zumindest aus. Der Dieb hat sie dort gelassen, Warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hatte er Angst?«
»Wovor denn?«, erwiderte ich. »Wenn er schon so weit gekommen ist, hätte er keine Angst mehr zu haben brauchen.«
»Kann man es wirklich wissen? Was ging in seinem Kopf vor? Warum hat Tallier nur drei Knochen mitgenommen, wobei ich immer davon ausgehe, dass er sie hier aus diesem Sarg gestohlen hat. Aber den Schädel hat er hier unten gelassen. Aus Angst, ihn zu bewegen. Warum? Weil er damit ein Unheil hätte auslösen können?«
»Kann alles sein«, stimmte ich meinem Freund zu. »Vielmehr würde mich interessieren, wer diese Person im normalen Leben gewesen ist. Wir wissen, dass es eine Frau war, aber sie muss auch einen Namen gehabt haben. Wenn wir den herausfinden, ist uns schon viel geholfen.«
Suko hatte mir nicht zugehört, denn er sagte etwas völlig anderes, das nicht in diesen Zusammenhang hineinpasste.
»Ein Test, John.«
Ich war leicht irritiert und flüsterte: »Bitte?«
Suko wiederholte seine Worte. »Ja, es ist ein Test gewesen. Er hat den Schädel bewusst hier im Sarg gelassen, weil er
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