1227 - Verschollen im Mittelalter
da sei unser Fürst am Ende sicher froh gewesen, als er sie endlich wieder los war.«
Nelson bemerkte erneute den feuchten Glanz in Luks Augen. Anscheinend hatte es ihn ganz schön erwischt.
»Du meinst also, er wollte am Turnier teilnehmen, bevor er verschwunden ist?«, fragte Nelson und klopfte nervös aufs Pult. »Bleibt die Frage: Wo befindet er sich jetzt?« Er starrte ungeduldig auf den Monitor. Plötzlich riss er den Kopf herum. »Moment mal.« Er blickte seine Freunde mit großen Augen an. »Wenn das Datum im Ergebnisprotokoll auftaucht, heißt das doch, dass der Befehl auch ausgeführt worden ist, oder nicht?«
»Präziser, Lord Nelson«, verlangte Judith.
»Der Rechner«, fuhr Nelson fort, »hat den Befehl akzeptiert. Sonst gäbe es eine Fehlermeldung. Folglich hat er die Zeitmaschine, wenn sie denn funktioniert, in Gang gesetzt. Das könnte bedeuten, dass Levent tatsächlich im Jahr zwölfhundertsiebenundzwanzig gelandet ist. Vielleicht ist Madonna ohne ihn zurückgekehrt?«
»Madonna?«, fragte Luk.
»So hat er die Zeitmaschine doch in seinem Tagebuch genannt.«
»Moment mal.« Auf einmal brach Luk in hektische Betriebsamkeit aus. Aufgeregt tippte er Befehle ein, murmelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin, fluchte, flehte und bearbeitete die Tastatur, als sei sie sein erklärter Feind.
Nelson und Judith beobachteten ihren Freund ohne einen blassen Schimmer zu haben, worauf er hinauswollte. Plötzlich versteifte sich Luk. Auf dem Bildschirm waren neue Zahlenreihen zu sehen.
»Wenn du jemanden brauchst, der dir zuhört – wir sind ganz Ohr«, raunte Judith ungeduldig.
Luk überhörte die Spitze. »Ein Ergebnisprotokoll«, dozierte er, »zeigt uns jene Befehle, die der Rechner ausgeführt hat. Ich habe diese Befehle zu Levents ursprünglichen Eingaben zurückverfolgt. Werft mal einen Blick auf die letzte Zeile.« Er sah sie triumphierend an.
»Start: Achtzehnter August Zwölfhundertsiebenundzwanzig«, las Nelson laut vor. »Ziel: Dreizehnter Dezember Zweitausendund…«
»Ach du Scheiße!«, entfuhr es Judith. »Das Datum seines Verschwindens!«
Luks Zeigefinger fuhr über die Ziffern wie über Blindenschrift. »Er wollte am selben Tag zurückkehren, an dem er zweiundsiebzig Stunden vorher aufgebrochen war. Er startet Montag, zieht sich drei Tage Mittelalter rein wie andere ihr verlängertes Wochenende auf Mallorca und kehrt am selben Montag wieder in die Gegenwart zurück. Schließlich kann er seine Zeitmaschine so programmieren, dass niemand seine Abwesenheit bemerkt.«
»Cooler Trip«, bemerkte Judith. »Nur dass der Flieger am Ende ohne ihn abgeflogen ist…«
»Genau«, stimmte ihr Nelson zu. »Levent hat doch wiederholt über Probleme mit dem Zentralrechner geklagt. Vielleicht hat sich der Rechner selbstständig gemacht.«
»Unwahrscheinlich«, ließ sich Luk vernehmen, »aber nicht ausgeschlossen.«
»Lässt sich das nachprüfen?«, fragte Judith.
»Im Prinzip schon«, entgegnete Nelson. »Aber das dauert.«
Er dachte einen Moment nach. Dann nickte er. »Ich werde das morgen Nacht überprüfen. Je früher, desto besser.«
Am nächsten Tag hatte Nelson Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Bei dem Gedanken, dass er die folgende Nacht womöglich noch weniger Schlaf bekommen würde als in der letzten, wurde ihm schlecht. Zu allem Überfluss fing er sich noch einen Rüffel von Professor Hütte ein, weil er aus Platons »Politeia« mit aufgestütztem Kopf rezitierte. Was sein Lehrer als unhöflich erachtete, war für Nelson die einzige Möglichkeit, wach zu bleiben.
Irgendwie schaffte er es am Ende doch, sich durch den Tag zu schleppen, ohne auch nur ein einziges Mal im Unterricht einzunicken.
Nach dem Abendessen schützte er bei Gottfried Kopfschmerzen vor und legte sich aufs Ohr. Seine Armbanduhr hatte eine Weckfunktion auf Vibrationsbasis – er stellte sie auf zwei Uhr und nickte dann sofort weg.
Er hatte einen seltsamen Traum: Es war Sommer. Heiße, trockene Luft blies ihm ins Gesicht, während er auf einen Wanderstock gestützt am Waldrand entlangspazierte. Er hatte fürchterlichen Durst. Wie wenn er seit Tagen nichts getrunken hätte.
Plötzlich tauchte eine seltsame Gestalt vor ihm auf: ein kleiner, dicker Mönch mit teigigem Gesicht, weißer, filziger Kutte und ausgelatschten Sandalen. »Gib mir zu trinken«, bat er den Mönch. Dieser lächelte gütig und reichte Nelson einen ledernen Trinkbeutel, den dieser gierig an den Mund setzte. Die
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