1227 - Verschollen im Mittelalter
Gegentribüne trabte und Guys Morgenstern vor Judith in den Staub gleiten ließ. Seine erste Trophäe, der, wie Nelson inständig hoffte, noch drei weitere folgen mussten.
»Heiliger Strohsack!«, rief Bruder Knollennase. »Das lass ich mir gefallen!«
Den Freunden blieb keine Zeit, den Triumph ihres Hoffnungsträgers gebührend zu feiern, denn schon rüstete sich das nächste Paar zum Duell – dem letzten dieser ersten Runde. Alpais von Greifenfels schritt als Erster aufs Feld. Sein Visier war hochgeklappt und gewährte einen Blick auf seine Augen, die dem blauen Reiter hasserfüllt hinterherstarrten.
Von der anderen Seite näherte sich sein Gegner, Christos von Larnaka, dessen safrangelber Umhang weithin in der Sonne leuchtete. Eitel trabte er aufs Feld und nickte den Zuschauern selbstverliebt zu. Erneut drängte sich Nelson das Bild des umjubelten Popstars auf, der sich im grellen Rampenlicht sonnt und sich vom kreischenden Publikum feiern lässt – ganz anders als Nelson sich die mittelalterlichen Ritter immer vorgestellt hatte.
Am Ende der Turnierbahn angelangt löste Christos seinen Umhang, den ein miteilender Page auffing, und präsentierte sich dem Volk in einer auf Hochglanz polierten goldgelben Prachtrüstung. Im Gegensatz zu denen der anderen Ritter waren selbst Christos’ Lanzen farbig. Aus dem Sortiment, das ihm sein Page darbot, wählte er eine leuchtend blaue und einen dazu passenden Schild, der eine glutrote Sonne über einem lapislazuliblau glänzenden Meer zeigte.
Sicher ein Bild seiner Heimat Zypern, dachte Nelson, als ihn Luk in die Seite stieß. »Oh Gott«, stöhnte er. »Der sieht ja aus wie ein Schauspieler. Was will der hier?«
»Täuscht euch nicht«, mischte sich Bruder Knollennase dazwischen. »Christos ist stark wie ein Stier. Meine jungen Brüder sind noch nicht bei allzu vielen Turnieren zugegen gewesen, nicht wahr?« Seine Augen flitzten von einem zum anderen. »Sonst wüsstet ihr wohl, dass Christos’ Rüstung nicht nur seine Seele spiegelt. Wartet’s ab.« Dabei lächelte er geheimnisvoll.
Als die Ritter lossprengten, ahnte Nelson, was ihr dicker Sitznachbar hatte andeuten wollen. Die Sonne stand so, dass ihr Licht von der Rüstung des Zyprioten gleichsam aufgesogen und voll reflektiert wurde, eine Wirkung, die Christos noch dadurch verstärkte, dass er seinen glänzenden Schild in einem Winkel hielt, der die grellen Strahlen direkt auf seinen Gegner lenkte. Alpais war geblendet. In rasendem Galopp rutschte er auf seinem Sattel hin und her, nur um am Ende auch noch seine Idealposition zu verlieren, sodass sein Lanzenstich ins Leere ging, während ihn die Lanze seines cleveren Gegners voll gegen die Brust traf.
Nelson hätte am liebsten laut losgejubelt, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Voller Genugtuung beobachtete er, wie Alpais von Greifenfels über seinen Schimmel gekrümmt weitertrabte, am Ende der Bahn parierte und seinem Knappen die unbeschädigte Lanze reichte. Dann geschah etwas, was niemand erwartet hätte: Alpais gab auf! Er nahm den Morgenstern, den ihm sein Knappe reichte, und schleuderte ihn vor den Augen der sprachlosen Zuschauer in den Staub. Schließlich nahm er die Zügel in die Hand, wendete und verließ grußlos den Platz.
Verhaltener Jubel flammte auf, in den sich einzelne Unmutsbekundungen mischten. Nelson hatte Schwierigkeiten, das gerade Erlebte zu begreifen. Was war passiert? Dass der Treffer des Zyprioten wirkungsvoll gewesen war, schien außer Zweifel. Doch Alpais hatte sich – offensichtlich ohne übermenschliche Anstrengungen – noch im Sattel halten können. Wäre es da für einen aufrechten Ritter nicht eine Frage der Ehre gewesen, weiterzukämpfen? Hatten sie ihren Feind überschätzt? War er am Ende bloß gefährlich, wenn er seine Bande von Vasallen hinter sich wusste?
»Heiliger Strohsack!«, riss ihn Bruder Knollennase aus seinen Gedanken. »Was habe ich gesagt?! Allmählich solltet ihr gelernt haben, Tadeus’ Worten zu glauben. Wie Novizen den Worten ihres Magisters.« Er lachte dröhnend, wobei sein fetter Bauch auf- und niederhüpfte, bis sein Kopf die Farbe einer Aubergine angenommen hatte.
»Gib auf dein Herz Acht, großer Meister«, spottete Luk. »Nicht dass dich unser Herr noch vorzeitig zu sich ruft.«
Tadeus blieb das Lachen im Halse stecken. »Darüber scherzt man nicht«, grummelte er, zwängte sich an den Freunden vorbei und zog beleidigt von dannen.
Nelson und Luk folgten ihm mit einigem Abstand. Das
Weitere Kostenlose Bücher