1229 - Psionisches Roulette
Lebensregeln waren bis ins letzte ausgeklügelt und von Familie zu Familie so unterschiedlich, daß die Gemeinschaften in Isolation voneinander leben mußten.
Und in dieses starre soziale Gefüge waren die Gorchtas und die Jyriten eingebrochen.
Es mochte sein, daß die tizidischen Genwächter befunden hatten, daß es der Großen Rekonstruktion nur förderlich sei, wenn das erstarrte Sozialgefüge von Lloermal durch neues Blut aufgefrischt wurde. Dabei kam es fast zur Katastrophe.
Denn die Gorchtas waren Chaoten, Anarchisten, die keinerlei Ordnungsprinzip kannten, die gerade das taten, was ihnen in den Sinn kam, und sich das nahmen, was ihnen am nächsten lag.
Ich traf auf einen Chylinen, der von den Gorchtas bis zur Erschöpfung geplündert worden war. Als diese Chaoten merkten, daß Sie von einem Chylinen praktisch jegliches technische Hilfsmittel bekommen konnten, machten sie davon im Übermaß Gebrauch. Es war ihnen egal, ob der verlangte Gegenstand für sie von Nutzen war oder nicht - sie nahmen einfach alles, was sie bekommen konnten. Nicht selten warfen sie das Erhaltene gleich darauf wieder weg, wenn sie seine Nutzlosigkeit erkannten, nur um sich sofort wieder in den ungeordneten Haufen der Bittsteller zu drängen. Der mit diesem Raubbau verbundene Streß kostete dem Chylinen beinahe das Leben und brachte ihn an den Rand des Wahnsinns.
Viele Gorchtas fielen den Trooßern zum Opfer. In ihrer Unkenntnis der strengen Sitten drangen sie in das Hoheitsgebiet der Großfamilien ein und verstießen gegen deren Tabus. Sie wurden gefangen genommen, abgeurteilt und bestraft. Für die Gorchtas begann ein Martyrium sondergleichen, sie begriffen nicht, daß man ihnen körperlichen Schmerz zufügte, um ihren Geist zu reinigen, sie Entbehrungen aussetzte, um sie zu erziehen, und ihnen Körpermale einätzte, um ihre Initiierung zu besiegeln. Es scheint aber, daß auf diese Weise etliche Gorchtas in die Großfamilien der Trooßer Zugang fanden und sogar zu ihren Oberhäuptern wurden.
Die Jyriten schienen dagegen bessere Voraussetzungen zu haben, sich in der neuen Heimat einzuleben, denn sie waren, wie die Trooßer auch, Zwängen unterworfen, die ihr Leben bestimmten. Aber das Gegenteil war der Fall.
Nicht nur, daß sich die Jyriten den neuen Gegebenheiten überhaupt nicht anpassen konnten, sie konnten nicht einmal artikulieren, was ihnen eigentlich fehlte, was sie unbedingt fürs Überleben brauchten. Sie schienen einem Phantom nachzujagen, etwas, das es nicht gab und das darum auch nicht zu beschreiben war. Auf ihrer Jagd nach dieser unfaßbaren Glückserfüllung kamen viele von ihnen um.
Ich traf einen Chylinen, der das Unmögliche zuwege bringen und den Jyriten geben wollte, was sie von ihm verlangten. Er zehrte sich selbst auf bei dem Versuch, das Unmögliche möglich zu machen. Er starb vor meinen Augen, und er starb wirklich. Ich sah ihn altern und dachte noch, daß er nach Ablauf der üblichen Frist in neuer Jugend erstrahlen würde. Aber er alterte und alterte und wurde zu Staub. Er hatte seine ganze Kraft dafür aufgebraucht, eine Lösung des Problems zu finden. Das war mir eine Warnung, denn es zeigte mir, daß wir Chylinen sehr wohl sterblich waren, wenn man uns in ein auswegloses Dilemma manövrierte.
Entsprechend gewarnt, suchte ich die Jyriten auf.
Dem ersten, dem ich begegnete, stellte ich sogleich auch die Frage, was ich für ihn tun könne. Aber er stand bewegungslos da, die sechs Extremitäten steif in den Boden gerammt, den wuchtigen Schädel nach vorne gereckt. Er war wie versteinert, wie zu seinem eigenen Denkmal geworden.
Ich wiederholte meine Frage langsamer, jedes Wort besonders betonend. Da bildete sich in der Atemöffnung an seinem Hals eine Blase, blähte sich zu beachtlicher Größe auf. Aus einer Öffnung strömte Luft, und eine Reihe abgehakter Laute entstand.
Ich verstand nur „Jyr", der Rest ging in einem unverständlichen Brummen unter.
Als nächstes wurde ich Zeuge, wie eine Horde von Trooßern einen Jyriten jagte. Der Jyrite war so schnell unterwegs, raste förmlich dahin, daß ich meinte, er würde mich einfach umrennen. Denn er hielt geradewegs auf mich zu! Aber knapp vor mir machte er einen scharfen Bogen. Durch den gewaltigen Schwung wurde er etliche Körperlängen durch die Luft geschleudert und blieb dann tot liegen.
Der Anführer der Trooßer-Sippe kam auf mich zugeschlängelt. Seine acht Ärmchen waren dauernd in Bewegung, denn er steckte die Nadeln, die seinen ganzen
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