1235 - Das Mord-Phantom
hätte sie sich erst drehen müssen.
Ich riskierte einen Blick in ihr Gesicht.
Ja, es hatte sich verändert. Es zeigte eine gewisse Erwartung, und ich ging davon aus, dass sie längst unter einem fremden Einfluss stand und nichts tat, was sie selbst befehligte.
Ich schwankte zwischen zwei Möglichkeiten. Sollte ich etwas tun und versuchen, sie aus ihrem Zustand hervorzuholen oder sollte ich ihren Weg weiterhin verfolgen?
Jede Lösung konnte falsch, aber auch richtig sein, und ich entschied mich für die letzte. Möglicherweise führte sie mich zu den Mächten, die hinter ihr standen und sie leiteten.
Als sie den nächsten Schritt auf mich zuging, bewegte ich mich ebenfalls. Sehr langsam drückte ich mich in die Höhe, weil ich sie auf keinen Fall erschrecken wollte. Für mich war Samantha Wilde zu einer Schlafwandlerin geworden, die anderen Befehlen gehorchte. Da konnte es gefährlich werden, sie aus diesem Zustand zu erwecken.
Ich drückte mich gegen die linke Wand und ließ die Frau nicht aus den Augen. Sie zuckte nicht mal in meine Richtung.
Sie hatte mich gar nicht gesehen, und als sie dann weiterging, hörte ich sie leise sprechen. Es waren Worte, die ich leider nicht verstand. Sie erstickten in einem Gemurmel. Dazwischen holte sie Atem, was mir vorkam wie ein Schlürfen.
Samantha Wilde ging an mir vorbei. Auch jetzt hatte sie mich nicht wahrgenommen. Ich interessierte sie überhaupt nicht, und das wiederum war für mich der Beweis, dass sie sich in einer völlig anderen Welt befand.
Sekunden später schon schaute ich auf Sams Rücken. Mit nackten Füßen ging sie über den Boden, passierte auch das Fenster und bewegte sich auf die Tür zu.
Das alles sah aus wie abgemacht. Wie einstudiert. Wie bei einer Person, die keinen eigenen Willen besaß. Ihr nackter Rücken und ihr Hinterteil schaukelten bei jedem Schritt.
Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wie wenig sie überhaupt anhatte, und das war zudem für sie nicht mehr wichtig.
An der Tür blieb sie einen Moment stehen, als würde sie überlegen, ob es auch der richtige Weg war oder nicht.
Es war der richtige für sie. Mit der freien Hand zog sie die Tür noch weiter auf, damit sie bequem über die Schwelle gehen konnte. So verließ sie das Zimmer und tauchte ein in den kleinen Flur, ohne dort Licht zu machen.
Ich setzte mich ebenfalls in Bewegung und blieb an der offenen Tür stehen. Ich wollte wissen, wohin sie ging, und rechnete damit, dass sie wieder nach unten ins Wohnzimmer gehen würde.
Das tat sie jedoch nicht.
Was sie unternahm, war mir zunächst rätselhaft. Sie steckte sich das Messer mit der scharfen Klinge quer in den Mund, um beide Hände frei zu haben.
Im Gegensatz zu ihr kannte ich mich in diesem Haus nicht aus. Deshalb wunderte ich mich auch darüber, dass sie an der Wand eine Tür aufzog, die zu einem kleinen Einbauschrank gehörte, der mir bisher nicht aufgefallen war.
Licht brauchte Samantha nicht. Im Dunkeln griff sie in den Schrank hinein und hatte schon mit dem ersten Griff genau das gefunden, was sie suchte.
Es war keine Waffe, sondern eine Stange. Es vergingen einige Sekunden, bis mir klar wurde, was sie damit vorhatte. Sie richtete sich auf und zielte mit der Stange auf eine bestimmte Stelle an der Decke. Ich vernahm ein leichtes Kratzen, und dabei hakte sich das Ende der Stange irgendwo an der Decke fest.
Ein kurzer Ruck, und einen Augenblick später sank ein Schatten nach unten. Es war eine Klappe, von der sich eine Leiter löste und auf einer Schiene mit ihrem Ende dem Boden entgegenrutschte.
Jetzt war mir klar, was sie vorhatte.
Sie wollte auf einen Boden, auf einen Speicher und von dort möglicherweise aufs Dach. Es war das typische Verhalten einer Schlafwandlerin, aber weshalb hatte sie ein Messer mitgenommen?
Die Fragen blieben, die Antworten würde ich später erhalten.
Zunächst einmal nahm sie das Messer wieder in ihre linke Hand, um die andere frei zu haben. Mit ihr konnte sie das schmale Geländer umfassen, das sich rechts der Treppe in die Höhe zog.
Dann ging sie, ohne sich um mich zu kümmern. Die Stufen der Falltreppe waren nicht sehr dick, sie bogen sich auch unter dem Gewicht der Frau, aber sie brachen nicht ein, und so konnte sie unangefochten ihrem Ziel entgegengehen.
Wie sollte ich mich verhalten? Ich konnte sie verfolgen und ebenfalls nach oben gehen oder wieder nach unten und draußen auf sie warten.
Das allerdings ließ ich bleiben, denn ich wollte sie nicht aus den Augen lassen. Also
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