124 - Die Königin der Nacht
unterminiert habe. Wie gesagt, diesen Ratschlag solltest du beherzigen, damit das Spiel interessanter wird."
Der Chakravartin reagierte nicht darauf, um sich nicht zu verraten. Er wußte nicht, daß Luguri seinen nächsten Schachzug längst durchschaut hatte und zum nächsten Angriff überging.
„Ganesha wird von den Hindus gern als beleibter Mann mit einem Elefantenkopf dargestellt", erklärte Dorian. „In der Botschaft für uns könnte mit Ganesha also ohne weiteres dieser bronzene Elefant gemeint sein."
Sie hatten bei Einbruch der Dunkelheit eine kolossale Statue erreicht, die einen zum Angriff übergehenden Elefanten darstellte. Seine Größe entsprach der des Einhorns, auf das sie gestoßen waren, nur besaß der Elefant eine dunkle Patina. Das stimmte mit der Botschaft überein, wo von einem „schwarzen Ganesha" die Rede gewesen war.
„Ich glaube, hier sind wir richtig", stellte Coco fest. „Wir wissen, daß Soma den Mond darstellt und Surya die Sonne. Es dunkelt bereits, und der Mond hat die Sonne verdrängt. Mit Soma ist aber auch die Himmelsrichtung Nordost gemeint. Und in der Botschaft heißt es, daß Ganeshas Zahn in diese Richtung weist. Der Zahn dieses Bronzeelefanten zeigt nach Nordost."
Olivaro deutete auf einen Baum, der in der Richtung lag.
„Ist das ein Feigenbaum?" fragte er. „Dann müßten wir in seinem Schatten ein Haus finden - das Heim eines Spielers, wie es in der Botschaft heißt."
Dorian nickte. „Sehen wir einmal nach."
„Aber vorsichtig!" riet Coco. „Damit wir nicht wieder in eine Falle geraten."
Sie setzten sich in Bewegung und näherten sich völlig geräuschlos dem Feigenbaum. Als sie ihn schon fast erreicht hatten, sahen sie durch das Dickicht einen Bungalow. Durch die Fenster fiel Licht. Ein indischer Diener räumte auf der Terrasse einen Tisch ab. Durch eine offene Verandatür sahen sie einen bebrillten Mann von etwa vierzig Jahren, der über ein Reißbrett gebeugt war und offenbar an einer technischen Zeichnung arbeitete. Der Mann wirkte überaus konzentriert.
Coco wollte etwas sagen, als ihr Olivaro durch ein Handzeichen Schweigen gebot. Da hörte auch Coco die Geräusche, die von links kamen. Es handelte sich um die Stimmen mehrerer Personen, die Coco nach einer Weile als die von zwei Frauen und einem Mann identifizierte. Sie erkannte sogar, daß sie sich in englisch unterhielten, doch verstand sie nur einzelne Worte.
„Sollen wir mal nachsehen?" meinte Coco.
Dorian machte eine ablehnende Handbewegung. „Wir könnten entdeckt werden. Und wer weiß, was das für Folgen hätte. Das wäre eine Aufgabe für Don."
Der Puppenmann erschien augenblicklich aus seinem Versteck.
„Na endlich gibt es etwas für mich zu tun", sagte er und kletterte an Cocos Sari zu Boden. Bevor er im Unterholz verschwand, rief er über die Schulter zurück: „Wartet hier! Ich bin gleich wieder da." Wenige Minuten später tauchte er auf und berichtete: „Es handelt sich um zwei Frauen und einen Mann, die ein seltsames Verhalten an den Tag legen. Die eine Frau - sie ist blond - scheint von der Dunkelhaarigen und dem Mann, der zum Fürchten aussieht, zu irgendwelchen dunklen Zwecken mißbraucht zu werden. Sie versuchen jedenfalls, sie zu umgarnen."
Coco schien nicht zugehört zu haben, sie wirkte entrückt. Plötzlich fuhr sie hoch.
„Dämonen!" entfuhr es ihr. „Jetzt kann ich ihre Ausstrahlung ganz deutlich spüren. Sie versuchen, die ahnungslose Frau in ihre Gewalt zu bekommen. Wir müssen ihr helfen."
„Aber wie? Wir sind unbewaffnet", gab Chapman zu bedenken.
„Vielleicht können wir den Überraschungsmoment für uns nutzen", meinte Dorian und holte seinen Ys-Spiegel hervor. „Allein der Anblick des Ys-Spiegels hat Dämonen schon oft in die Flucht geschlagen."
Sie verteilten sich und näherten sich in breiter Front der Stelle, von wo die Geräusche kamen. Die Stimmen wurden lauter und verständlicher.
Coco hörte eine verführerische Frauenstimme gerade sagen: „Sue, wie gut ich dich verstehen kann, daß du dich hier langweilst. Aber Linga und ich, wir werden von nun an für Abwechslung sorgen." Jetzt konnte Coco die Sprecherin sehen. Es war eine betörend schöne Frau mit wallendem schwarzen Haar. Sie trug ein weißes Kleid mit weiten Ärmeln, die wie Flügel wirkten, als sie die Arme ausbreitete. Der Mann, den sie Linga genannt hatte, besaß das lüsterne Gesicht eines Satyrs. Sein Oberkörper war nackt und über und über beharrt. Coco hätte es nicht verwundert,
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