124 - In der Gewalt der Daa'muren
nannte, verschwand in einer der Ruinen, um gleich darauf drei Fluginsekten aus ihr hervor zu treiben, zwei Frekkeuscher und eine Androne; vollgepackt und mit unzähligen Bündeln und Kisten behängt. »Müssen schon ganz schön schleppen, meine Tierchen, aber bis zum Sonnenaufgang müssten sie noch durchhalten.«
Guundal beäugte das Gepäck: Hausrat, Felle, Waffen und Werkzeuge, lauter Diebesgut. »Hey, Mann! Bin ich blöd, oder hatten wir dieselbe Idee?«
Watzlowerst nahm die Androne, Alv den am schwersten beladenen Frekkeuscher. Als Rudgaar zu Guundal in den Flugsattel steigen wollte, sah er ein vertrautes Wappen auf dem Steigbügelleder: das Schwingenpaar eines Greifvogels. Der Sattel und vermutlich auch der Frekkeuscher waren Eigentum der Königin von Beelinn.
Später glitten die dunklen Wogen der Herbstwaldwipfel unter ihnen dahin. Das Flügelschwirren der Frekkeuscher und der Androne erfüllte die Luft. Die Schreie ihrer Verfolger blieben zurück. »Was für ein Dämon hat dir ins Hirn gefurzt, dass du den Riesenkerl retten musstest!«, raunte Guundal dem Hundemeister von hinten ins Ohr. »Was für eine saublöde Idee! Hätte uns fast die Haut gekostet! Und jetzt werden wir ihn nicht mehr los. Was glaubst du, was der frisst zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang?«
»Er kann für sich selbst sorgen. Hast du nicht all das Diebesgut gesehen?« Einen halben Speerwurf vor ihnen wölbte sich der Schatten des Riesen über den Konturen seiner Androne. Rudgaar beglückwünschte sich dafür, ihm geholfen zu haben. »Wer weiß, Guundal, vielleicht haben wir ja einen wertvollen Gefährten gewonnen…«
***
Beelinn, Anfang Oktober 2520
Lauschen tut man nicht, nein, wirklich: Keiner sollte andere belauschen, aber – wenn man doch Angst hat…?
Ann hat Angst. Nicht sehr, aber doch genug, um ganz genau hinzuhören und hinzugucken, wenn die Erwachsenen sich unterhalten. Was sagen sie? Was für Gesichter machen sie dabei? Wie laut oder leise sprechen sie? Wie klingen ihre Stimmen?
Etwas ist passiert, etwas passiert gerade, und etwas wird passieren.
Ann umarmt Canada. Sie spürt sein weiches Fell, hört sein Herzklopfen. Es ist gut, dass er da ist. Eng aneinander gedrückt liegen sie auf der Galerie vor der Balustrade und lauschen.
Unten flüstern Bullo und Jennymom miteinander. Vor den großen Fenstern des Saales geht die Sonne auf.
Das ist passiert: Meister Johaan ist gestorben. Genau wie Ann es geträumt hatte. Jennymom und die Ältesten haben ihn verbrennen lassen. Zur Strafe, weil er gelogen hat, und weil er Jennymom töten wollte. Vor ein paar Tagen hat Arnau Ann alles erzählt.
Meister Johaan ein Lügner und Mörder? Soll sie Arnau glauben? Sie weiß es nicht. Er ist eigentlich in Ordnung, obwohl er keine lieben Augen hat. Das verwirrt Ann ein wenig.
Und das passiert gerade: Viele in Beelinn sind krank, und Jennymom macht sich große Sorgen darüber. Miouu und Arnau haben sich lieb, und Jennymom ist traurig darüber.
Bullo hat gesehen, wie Arnaus Stirn leuchtet, und wie er machen kann, dass seine Haut glänzt wie silberne Schuppen, und wie sein Kopf sich in den Kopf einer Eidechse verwandeln kann, nur größer; und Jennymom ist erschrocken darüber.
Dort unten flüstern sie, aber Ann versteht jedes Wort. »Ein Mutant«, sagt Jennymom, »er muss ein Mutant sein, was sonst?« Ann hat keine Ahnung, was das ist, ein »Mutant«.
Bullo schon, denn er nickt und sagt: »Vielleicht.«
»Er ist wieder in seinem Haus«, sagte Jennymom, obwohl doch Arnaus Haus Meister Johaans Haus ist, aber Meister Johaan lebt ja nicht mehr. Er hat liebe Augen gehabt, und er ist lieb gewesen. Nur am Ende, da war er komisch; aber nur, weil er eine Krankheit gehabt hat.
»Nimm Maakus und Wulfgang mit«, hört Ann Jennymom sagen. »Geh noch einmal zu Arnau und führe ihn zu mir in den Saal. Und schicke nach Tilmo, er soll anschließend zu mir kommen.«
Und das wird passieren: Viele werden sterben, der Wald wird Ann, Miouu und Canada nicht mehr hergeben, und Jennymom wird sich noch größere Sorgen machen, noch trauriger werden und sich sehr, sehr erschrecken müssen.
»Ich hab Angst, Canada.« Ann schlingt ihre Ärmchen um den Hundehals. »Ich hab solche Angst…«
***
Wenn es ihn erstaunte, dass seine Königin ihn zum zweiten Mal seit Mitternacht rufen ließ, so ließ Arnau von Gödenboorg es sich nicht anmerken. Gleichmütig seine Miene, straff seine Gestalt und schwungvoll sein Schritt – so trat er durch die Doppeltür
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