1240 - Das Knochenkreuz
Personen ihn mitgenommen hatten.
Man hatte die Kirche zwar umgebaut und auch vergrößert, aber sie war trotz dieser Ausmaße nicht mit einer normal großen zu vergleichen. So musste ich auch den Kopf einziehen, als ich durch die Tür ging, die Annica aufzog.
»Wie ich es mir gedacht habe, sie ist nicht verschlossen. Und das ist kein gutes Zeichen.«
Suko und ich sagten nichts. Unser Schweigen war eben Zustimmung genug. Wir traten ein.
Zuerst sahen wir nicht viel, denn der Helligkeitsunterschied war einfach zu groß. Dann aber, wenige Schritte später, gingen uns schon die Augen über.
So etwas hatten wir noch nie gesehen…
***
Knochen - Gebeine. Schädel, wohin wir schauten. Nicht wie in irgendwelchen unter den verschiedenen Kirchen, nein, hier hatte man die Reste der Toten ausgestellt, regelrecht dekoriert.
Bei einer ersten Schätzung kam ich zu dem Ergebnis, dass in dieser Kirche Tonnen von Gebeinen versammelt sein mussten.
Es konnte durchaus sein, dass sich die Bewohner von Hora an diesen Anblick gewöhnt hatten, aber für mich war es etwas anderes. Dieser erste Besuch ließ mich schon staunen, und ich spürte auch, dass sich die gesamte Haut auf meinem Körper zusammenzog und ich das Gefühl bekam, einen Kälteschock zu erwischen.
Das hier war in der Tat einmalig. Extravagant. Unwahrscheinlich. Es ließ einen Menschen sprachlos werden. Ich bemerkte auch die besondere Atmosphäre, die in dieser Kirche herrschte. Eine gewisse Kälte, die mir vorkam, als wäre sie von den Knochen abgestrahlt worden.
Unzählige Schädel reihten sich entlang der Stützsäulen, sie bildeten praktisch Ranken aus Knochen, und an den Wänden bildete das bleiche Gebein ein sich ständig wiederholendes Muster aus übereinander stehenden Schädeln mit gekreuzten Knochen dazwischen, als hätten hier Piraten ihre Zeichen hinterlassen.
Es war wirklich der blanke Wahnsinn!
Ich ging langsam weiter. Die Bänke ignorierte ich, weil ich eine Nische gesehen hatte, die mich interessierte. Oder vielmehr deren Inhalt, der dort ausgestellt war.
In meinem Leben hatte ich viele Kreuze gesehen, und ich selbst trug auch eines, das wirklich zu den besonderen zählte.
Nun stand ich vor einem Kreuz, das sicherlich auch einmalig war, und ich schätzte seine Höhe auf mindestens zwei Meter.
Mir stockte der Atem, als ich es mir genauer anschaute.
Unten besaß es einen Stützfuß aus Gebeinen, der aussah wie ein liegender Halbmond. Kleine, aber kompakte Stücke bildeten darunter noch einen Fuß, damit die Standfestigkeit gewährt war. Wie zur schaurigen Dekoration aufgesetzt waren die beiden Enden des »Halbmonds« mit bleichen Schädeln dekoriert, deren leere Augenhöhlen aussahen, als sollten sie den Weg in den Tod weisen.
Aus der Mitte des Halbmonds erhob sich der Balken des Kreuzes, der die meiste Last zu tragen hatte. Es gab keinen direkten Treffpunkt in der Höhe, denn dort, wo sich normalerweise die beiden unterschiedlich langen Verbindungsbalken trafen, saß ein besonders blanker Totenschädel. Er war leicht nach vorn gedrückt, damit er auf den Betrachter hinabschauen konnte.
Um den Schädel in der Mitte herum war noch ein Kranz aus Gebeinen geflochten und die größeren von ihnen - insgesamt sieben - überragten die anderen Knochen bei weitem, weil sie abstanden und so etwas wie einen Stern bildeten.
Keine Balken und trotzdem ein Kreuz. Aber auch mehr eine Monstranz. Vielleicht war eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Passionskreuz vorhanden, jedoch nicht mit dem römischen Kreuz, das ich bei mir trug.
Und es gab nur Knochen und Schädel!
Ich sah es genau, ich stand ja dicht davor. Trotzdem wollte es mir nicht in den Kopf. Ich fühlte mich irgendwie verunsichert, denn so etwas hatte ich noch nicht gesehen.
Der nach oben führende Balken war zwar durchgehend, aber trotzdem unterbrochen. Auf den verschiedenen Ebenen verteilten sich waagerecht liegende Knochen oder Knochenstücke. So war der Halt gegeben. Auch gebogene Rippenstücke entdeckte ich, und mir fiel noch etwas auf. Dieses Kreuz sah so blank aus, als würde es in regelmäßigen Abständen geputzt.
Aber das hatten irgendwo alle Gebeine gemein, die sich in dieser Kirche fanden. Das war in der Tat mehr als ungewöhnlich.
Nach unserem Eintreten war kein Wort mehr zwischen uns gefallen. Annica, die alles kannte, ließ uns in Ruhe, damit wir die Eindrücke aufnehmen und verarbeiten konnten.
Ich hatte Suko nicht kommen gehört. Erst als ich seinen Atem an meinem Nacken spürte,
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