1240 - Das Knochenkreuz
erklären konnte. Es war möglicherweise Macht, es war Gefahr, aber auch eine gewisse Erotik.
Der Mann besaß dunkles Haar, das an einigen Stellen heller schimmerte. Es mochte an den grauen Strähnen liegen, die die Haare wie Wellen durchzogen. Gut erkannte sie das Gesicht nicht, aber es schien ihr sehr männlich zu sein.
Noch etwas fiel ihr auf. Seine Augen schimmerten wie die Oberfläche dunkler Teiche, auf denen sich letzte Lichtreflexe brachen. Der Mann traf keine Anstalten, sie in den Wagen einzuladen. Er lächelte nur, aber auch dieses Lächeln sah die Kommissarin als gefährlich an. Sie besaß die Waffe, doch sie musste zugeben, dass sie die Kontrolle verloren hatte.
Darüber ärgerte sie sich. Und noch mehr, dass die Waffe leicht zitterte und ihr es nicht möglich war, die richtigen Worte zu finden.
Dafür sprach der Mann. Er wusste, dass sie auch Englisch verstand.
»Wer bist du?«
»Namen spielen keine Rolle.«
Der Mann gab drei schnalzende Laute ab. »Wer wird denn gleich so aufmüpfig sein. Ich werde dir auch meinen Namen sagen. Ich heiße Vincent van Akkeren.«
Mehr sagte er nicht. Wahrscheinlich wollte er warten, wie sie darauf reagierte, denn er ging bestimmt davon aus, dass ihr der Name van Akkeren nicht unbekannt war.
Tatsächlich zuckte sie leicht zusammen, weil sie sich nicht so stark unter Kontrolle hatte, und das wiederum ärgerte sie.
»Du kennst mich, wie?«
»Nein!«
»Pst, nicht lügen. Du kennst mich sehr wohl, und ich kenne dich. Ich habe dich beobachtet. Ich weiß sehr gut, dass du nicht allein gekommen bist, aber jetzt gewisse Dinge allein durchziehen willst. Ob das gut für dich ist, kann ich nicht sagen, aber es ist gut für mich, wenn du verstehst.«
»Wieso?«
»Das ist sehr einfach, meine Liebe. Ich bin es gewohnt zu gewinnen. Ich erreiche mein Ziel immer. Manchmal allein, manchmal mit unfreiwilliger Hilfe.«
»Wenn Sie mich damit meinen, haben Sie sich geschnitten, van Akkeren. Ich werde Ihnen nicht helfen.«
In den folgenden Sekunden blieb er ruhig. Nur ein leichtes Stirnrunzeln deutete an, dass er noch nachdachte. »Nein«, sagte er dann mit weicher Stimme, »ich denke, dass es ein Irrtum ist, meine Liebe. Ja, du irrst dich. Auch wenn du…«
Annica war es leid. Sie wollte nicht mehr länger in dieser gebückten Haltung stehen und hatte sich entschlossen, etwas dagegen zu tun. »Steigen Sie aus, van Akkeren. Los, machen Sie schon. Raus mit Ihnen, verflucht noch mal!«
»Bitte, reiß dich zusammen. Ich bin es gewohnt, nur den Befehlen zu folgen, die ich mir selbst gebe. Wann ich aussteigen werde, diesen Zeitpunkt bestimmte ich selbst.«
»Nein, das ist meine Waffe, die… die…«, Annica geriet ins Stottern, denn es war jemand hinter ihr aufgetaucht, und dann spürte sie etwas Kaltes, Rundes an ihrem Nacken.
Als Kommissarin war sie erfahren genug, um zu wissen, was das bedeutete. Jemand hatte sich herangeschlichen und drückte ihr nun die Mündung einer Waffe gegen den Nacken.
Annica Dobel war nicht nur Kommissarin, sie war auch ein Mensch mit allen Vor- und Nachteilen. Und als solcher hatte sie auch Gefühle. Die sahen nicht gut aus, denn jetzt drückte sich die kalte Furcht in ihr hoch und nahm ihr den Atem.
Van Akkeren behielt das Lächeln bei. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich der Sieger bin. Auch in deinem Fall. Es ist so wunderbar, wenn man Siege einfahren kann. Komm, lass die Waffe fallen. Sie wird dir nichts mehr bringen.«
Irgendwie hatte er Recht. Annica überlegte trotzdem. Sie war nie jemand gewesen, der so leicht aufgab, aber sie kannte auch ihre Grenzen. Sie wusste nicht, ob sie auch schießen würde.
Der Mann hinter ihr tat es sicherlich. Da kannte er keine Skrupel.
Dann war da noch der Blick des van Akkeren. So zwingend.
Hypnotisch, als wäre er in der Lage, ihre Seele zu durchdringen, und sie merkte, dass die Pistole in der rechten Hand schwer wurde und langsam nach unten sackte.
Die Waffe fiel auf das Leder des Rücksitzes und blieb dort liegen. Van Akkeren nahm sie an sich und bewegte sich dabei auf den Ausstieg zu. Er sprach mit dem Mann hinter Annica.
»Kümmert euch um sie!«
Das passierte auch, denn Annica wurde mit einer heftigen Bewegung zurückgerissen. Sie spürte eine Hand in ihren Haaren, dann den Schmerz, als sie das Gefühl hatte, die Haare würden ihr aus dem Kopf gerissen, aber sie schrie nicht, denn sie wollte sich keine Blöße geben.
Jetzt sah sie auch den zweiten Mann. Er tauchte plötzlich vor ihr auf und
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