1244 - Die Besucher
seinem Alter. Vielleicht war er etwas blasser. Seine braunen Haare passten in der Farbe zu den Augen. Er bewegte den Kopf, aber er sagte nichts. Irgendwie kam er mir leicht verschlafen vor. Möglicherweise war er auch verstört.
Germaine Duc hielt es nicht mehr auf ihrem Platz. Sie stand auf und lief auf ihren Sohn zu, den sie dann in die Arme schloss.
»Bitte, Kevin, ich habe dir doch gesagt, dass du liegen ble iben sollst. Ruh dich aus, mein Junge. Es ist wirklich besser für dich. Du musst wieder zu Kräften kommen.«
Die Frau drehte Max und mir den Rücken zu. Sie hatte ihren Sohn so umschlungen, dass er an ihr vorbeischauen konnte und so fiel unser Blick automatisch in sein Gesicht, dessen Ausdruck ein gewisses Desinteresse oder eine Leere zeigte, die auch der Tierärztin nicht verborgen blieb. Sie schüttelte leicht den Kopf und sprach mich flüsternd an.
»Irgendetwas stimmt mit Kevin nicht, John. Das sehe ich ihm an. Da brauche ich auch keine Fachfrau zu sein. Er scheint schon Probleme zu haben.«
»Bei dem, was hinter ihm liegt, kein Wunder.«
»Das wird sich noch herausstellen. Hoffentlich können wir mit ihm sprechen.«
»Abwarten.«
»Ich habe Besuch, Kevin. Es sind alte Freunde von mir. Und sie sind gekommen, um uns zu helfen, wenn es kritisch wird. Ist das nicht toll?«
Kevin sagte nichts.
Seine Mutter gab trotzdem nicht auf. »Willst du sie nicht kennen lernen? Da ist einmal Maxine Wells. Ich kenne sie noch aus der Schule und habe dir bestimmt schon von ihr erzählt. Und der Mann dort, das ist John Sinclair. Er ist ein Freund von Maxine. Die beiden haben einen langen Weg hinter sich.«
»Warum sollen sie uns helfen?«
Kevin hatte zum ersten Mal gesprochen. Seine Stimme klang nicht besonders kräftig. Sie war eher schwach zu hören und sein Blick erhielt einen misstrauischen Ausdruck.
»Muss ich dir das erklären? Du weißt doch, dass du diese schlimmen Träume hast. Und auch hier in Kiltegan stehen nicht alle Menschen auf unserer Seite. Da ist es schon besser, wenn man Freunde hat. Verstehst du das, Kevin?«
»Das weiß ich nicht. Aber es ist ja nicht schlimm, wenn sie hier sind.«
Die Antwort hatte seiner Mutter gefallen. Sie ließ Kevin los und blieb in seiner Nähe, als sie sich wieder zu uns hindrehte.
Sie stellte uns vor und mein Lächeln wirkte etwas gequält.
Nicht das der Tierärztin. Sie besaß eine natürliche Herzlichkeit.
Nun ja, sie war eben eine Frau.
»Ich habe Durst.«
»Warte, ich hole dir etwas zu trinken.« Germaine warf uns einen raschen Blick zu, bevor sie das Zimmer verließ und in der Küche verschwand. So blieben wir mit Kevin zurück, der noch immer auf der Stelle stand und wie bestellt und nicht abgeholt wirkte. Er machte einen sehr unsicheren Eindruck.
Das wollte Maxine verändern. Deshalb stand sie auf und ging zu ihm hin. Sie setzte sich auf die Armlehne der Couch in seiner Nähe und nickte ihm zu.
»Deine Mutter und ich sind alte Freundinnen. Sie hat mir viel über dich erzählt. Wir beide haben uns schon gekannt, da waren wir in deinem Alt er. Stell dir das mal vor, Junge.«
»Kann sein.«
»Ich weiß viel über dich.«
Er zuckte die Achseln.
Es war zu sehen, dass er Desinteresse zeigte. Er schaute Maxine Wells auch gar nicht an. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Es schien ihn nicht zu interessieren, ob er nun angesprochen wurde oder man ihn in Ruhe ließ.
»Ich weiß auch etwas über deine Träume, Kevin.«
»Es sind keine Träume.«
Maxine tat erstaunt. »Nein, nicht? Aber deine Mutter hat gesagt, dass du in der letzten Zeit so schlecht träumst.«
»Dann hat sie gelogen!«, erklärte Kevin. »Das habe ich ihr auch gesagt. Ich habe nicht so schlecht geträumt. Ich habe überhaupt nicht geträumt. Das ist alles so gewesen wie es schon öfter war. Ich… ich… bin kein Träumer.«
»Ach ja? Dann hast du das alles wirklich erlebt? Das, was du immer deiner Mutter erzählst?«
»Ja, habe ich.«
»Und wo?«
»Weit weg. Ganz weit weg. Oben, irgendwo oben. Ich kann es nicht sagen. Ich habe es gespürt. Manchmal war es so kalt. Und dann hatte ich Kopfschmerzen.«
Germaine Duc kehrte zurück. Mit einem Blick hatte sie die Veränderung wahrgenommen. Auf ihrer Stirn erschien eine senkrechte Falte. Es schien ihr nicht zu passen, dass wir uns mit ihrem Sohn ohne ihr Beisein unterhalten hatten.
»Was ist denn passiert?«, fragte sie.
»Nichts, Germaine. Kevin und ich haben uns nur unterhalten. Das ist alles.«
»Was hat er gesagt?«
»Er
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