1244 - Die Besucher
sprach über seine angeblichen Träume.« Max räusperte sich. »Aber seiner Meinung nach sind es keine Träume gewesen, sondern die reine Wahrheit. Was ich da denken soll, weiß ich auch nicht. Ich denke, wir sollten da nachhaken.«
Germaine hob die Schultern, Sie sagte nichts mehr und reichte ihrem Sohn ein hohes und mit Orangensaft gefülltes Glas, das er auf einen Zug fast bis zur Hälfte leer trank. Er hielt es fest, drehte sich dann auf der Stelle und ging weg.
»Wo willst du denn hin?«, rief Germaine.
»Ich will in mein Zimmer.«
»Dann ist es gut.«
Das passte uns zwar nicht, aber vorläufig konnten wir nichts daran machen und wollten den Jungen auch nicht verschrecken. Als er außer Hörweite war, sagte Maxine zu ihrer Freundin: »Ich glaube nicht, dass das gut gewesen ist.«
»Wieso? Was willst du von ihm?«
»Es liegt auf der Hand, Germaine. Wenn uns jemand Auskunft geben kann, dann ist es dein Sohn und keiner sonst. Er hat schließlich diese Dramen erlebt, die für dich nur Träume sind. Jedenfalls hast du sie dem Jungen so näher gebracht.«
»Ja und?«
»Nichts und, meine Liebe. Du kannst ihn nicht vor uns abschirmen. Er muss die Wahrheit sagen. Er muss über seine Erlebnisse und Empfindungen reden.« Maxine warf mir einen Blick zu, weil sie meine Meinung ebenfalls hören wollte.
Ich nickte zunächst und sagte dann mit möglichst ruhig klingender Stimme: »Es ist wirklich besser, wenn wir uns mit Kevin beschäftigen und ihn nach seinen Erlebnissen fragen. Nur wenn wir Informationen besitzen, können wir etwas unternehmen.«
Germaine Duc schaute mich an, ohne etwas zu sagen. Ich sah, wie es in ihr arbeitete. Sie war die typische Mutter, die nur das Wohl ihres Kindes im Blick hatte. Jetzt befand sie sich in einer Zwickmühle. Wenn sie uns ließ, dann würde in Kevin alles wieder aufgewühlt werden. Dann durchlebte er seine Träume möglicherweise noch mal und das wollte sie nicht, was man ja verstehen konnte.
Wir aber waren gekommen, um Licht in einen sehr rätselha ften Fall hineinzubringen und dafür brauchten wir die Aussagen des Jungen unbedingt. Das musste auch die Mutter einsehen.
Ich fühlte mich in diesem Haus mehr als Gast und hielt zunächst meinen Mund. Außerdem hatte Maxine Wells genügend Einfühlungsvermögen, um mit diesen Problemen zurechtzukommen. Sie ging auf ihre Freundin zu, blieb dicht vor ihr stehen und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich bitte dich, Germaine, du musst jetzt über deinen eigenen Schatten springen. Ich weiß, dass es dir nicht leicht fällt. Mir würde das ebenso ergehen. Aber es kommt jetzt auf Kevin an. Auf ihn allein. Nur er kann uns weiterhelfen, denn er ist derjenige, den wir als einzigen Zeugen für diese Entführungen haben. Es ging den Fremden ja um ihn. Du bist vorerst aus dem Schneider, wobei ich nicht glaube, dass dies für immer ist, Germaine. Es kann durchaus sein, dass man sich wieder an dich erinnert, und dann steckt ihr beide fest.«
Germaine kämpfte mit sich. Sie fuhr durch ihr Haar. Sie schluckte. Sie dachte nach und flüsterte. »Ich möchte Kevin keine unnötigen Qualen zumuten. Verstehst du das?«
»Ja, das ist mir klar, Germaine. Aber was sein muss, das muss. Es ist manchmal so verdammt schwer. Darum kommen wir nicht herum. Bitte, sei vernünftig.«
Sie schaute zu Boden und konnte sich noch keine Antwort abringen.
»Dieser Meinung ist auch John Sinclair.«
Germaine schaute mich an. »Stimmt das?«
»Hundertprozentig.«
Germaine stöhnte auf. »Es ist schwer«, sagte sie leise, »so verdammt schwer. Das müsst ihr mir glauben. Ich habe wirklich große Probleme damit. Ihr wisst ja nicht, wie er sich am Morgen danach benommen hat, wenn er wach wurde. Das war manchmal unerträglich. Die haben einen großen Druck bei ihm hinterlassen.«
»Keiner bezweifelt das«, sagte ich, »aber jetzt müssen wir etwas unternehmen, Germaine. Es gibt keinen anderen Weg. Tut mir Leid für dich.«
»Aber wir können doch warten.«
»Worauf?«
»Darauf, dass sie kommen. Sie sie sind in der nächsten Nacht bestimmt wieder unterwegs und…«
»Das hat mit dem anderen nichts zu tun, Germaine. Wir müssen schon vorbauen, um nicht zu überrascht zu werden.«
Sie überlegte jetzt nicht mehr. »Aber versprecht mir, dass ihr behutsam mit Kevin umgeht. Auch wenn es nicht so aussehen mag, der Junge ist sehr sensibel. Er zieht sich immer alles sofort an. Das ist wichtig.«
»Keine Sorge«, sagte Maxine und lächelte ihr zu. »Du wirst
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