1244 - Die Besucher
auch deshalb interessant, weil sie recht hoch stand. Von ihr hatte ich einen wunderbaren Blick über den Ort und diese Umgebung.
Aber ich war auch misstrauisch und behielt die Fenster unter Kontrolle.
So viel ich sah, bewegte sich nichts und niemand innerhalb der baufälligen Hütte.
Nur noch wenige Schritte, dann blieb ich vor dem Eingang stehen. Er bestand aus einer schiefen Tür, die nicht mehr richtig geschlossen werden konnte. Bevor ich die Tür auf zog, warf ich einen Blick durch das leere Fensterauge, um zu erfahren, wer oder was sich dort aufhielt.
Es war nichts zu sehen. Das Licht reichte nicht aus, um die Hütte auszuleuchten.
Ich ging wieder zur Tür, öffnete sie und trat noch nicht über die Schwelle. Mein prüfender Blick saugte sich in einer düsteren Umgebung fest, in der es nach Schafen roch. Es war dieser typische Geruch, den gewisse Rinderzüchter damals im Wilden Westen ge hasst und deswegen schon Kriege geführt hatten.
Mich störte er nicht. Ich sah Stroh auf dem Boden vor einer alten Futterkrippe liegen und mein Blick strich auch über einige Latten hinweg, die wohl mal einen Verschlag gebildet hatten, jetzt aber auf dem Boden lagen und nicht mehr gebraucht wurden.
Je länger ich schaute, um so besser gewöhnten sich meine Augen an die Verhältnisse. Eines aber stand fest. Kevin hielt sich nicht in der Hütte auf.
Und trotzdem war ich nicht allein. Nicht der einzige Mensch.
Ich spürte es. Irgendwie war es auch zu riechen oder zu erschnüffeln. Hier hielt sich jemand versteckt. Wenn das so war, dann musste mich diese Person auch ankommen gesehen haben.
Sie zeigte sich nicht. Viele Verstecke gab es nicht in diesem alten Stall. Als ich nach links schaute, sah ich doch ein Gatter, das mir zuvor in der Dunkelheit nicht aufgefallen war. Was hinter der Abtrennung lag, konnte ich nicht erkennen.
An den Schafgeruch hatte ich mich gewöhnt, und mit vorsichtig gesetzten Schritten ging ich weiter. Das Gitter zog mich an.
Dahinter lag ein leerer Raum, aber ich sah auch das Fenster, durch das man direkt bis zum Haus der Ducs schauen konnte.
Es war still, aber nicht mehr lange, denn plötzlich fuhr hinter dem Gitter jemand in die Höhe. Irgendwie hatte ich mich darauf eingestellt, und trotzdem wurde ich überrascht, als der Mann wie eine Kirmesfigur vor mir stand und auf das Gatter den Lauf eines Gewehrs gelegt hatte, dessen Mündung auf meine Brust zeigte…
***
Du brauchst keine Angst zu haben, Kevin. Du kannst ganz sicher sein, Junge. Wir sind bei dir. Wir sind immer bei dir, denn du gehörst zu uns, auch wenn du anders bist. Aber du bist einer von uns, mein Kleiner, und das ist wunderbar.
Kevin kannte die Stimmen. Er hatte sie gehört. Immer und immer wieder. Er war nicht mehr verstört wie zu Beginn, als er mit ihnen konfrontiert worden war. Doch in der letzten Zeit war es schlimmer geworden. Da ließen sie ihn nicht mehr los.
Da quälten sie ihn immer weiter und da hatten sie es geschafft, seine Psyche zu zerstören. Er war jetzt bereit, nur auf sie zu hören, auf die Fremden, auf die Besucher, die ihr Kommen bereits angekündigt hatten.
Kevin lief weiter. Er hatte es geschafft und war dem Besuch und leider auch seiner Mutter entwischt. Sie hätte als einzige Person Verständnis für ihn gezeigt, aber sie hatte sich durch den Mann und die Frau beeinflussen lassen, und so musste Kevin sie ebenfalls verlassen. Das geöffnete Fenster hatte ihm die gute Möglichkeit geboten. Er hatte sich auch umgezogen und in den dicken Winterklamotten fror er nicht. Der Anorak besaß ein dichtes Futter, das die Kälte abhielt und wenn der Wind zu stark werden würde, dann musste er eben die Kapuze aufsetzen.
Kevin war nicht einfach losgerannt. Er hatte schon ein Ziel im Auge. Nur wollte er das nicht auf dem normalen Weg erreichen, sondern schlug einen weiten Bogen und nahm den entsprechenden Umweg in Kauf, damit er an sein Ziel gelangte.
Es war nicht zu übersehen. Egal von welcher Seite der Ankömmling in das Dorf hineinfuhr, der eckige und leicht klotzig wirkende Turm der Kirche war stets präsent. Und genau dort würde er sich auch verstecken. Nur nicht in der Kirche, sondern in dem kleinen Steinhaus, das in ihrer Nähe stand. Es wurde als Lager benutzt, weil es dort immer kühl war. Aber es hatte auch eine andere Funktion. In Kiltegan gab es keine Leichenhalle. Die Toten, die man später beerdigte, wurden in diesem Steinhaus aufgebahrt, bis sie in den Gräbern verschwanden.
Wer nicht unbedingt
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