1244 - Die Besucher
nicht, doch er wollte damit schlagen.
Ich war schneller.
Mit einem heftigen Tritt hatte ich das brüchige Gatter aus dem Weg geräumt und kam zusammen mit den nach vorn fliegenden Latten wie ein Rachegott über ihn.
Zuerst fasste ich nach dem Gewehr. Ich bog es in die Höhe, drehte es über seinem Kopf so scharf herum, dass ich es ihm aus den Händen hebeln konnte.
Er fluchte, als er merkte, dass ich ihm das Gewehr entrissen hatte. Er wollte sich wehren, doch ich war schneller und rammte ihm den Lauf gegen den Kopf.
Ich hörte das dumpfe Geräusch. Danach das Stöhnen des Mannes, dann torkelte er zurück und presste eine Hand auf seine getroffene Stelle. Er heulte sogar auf und musste zusehen, dass sich die Lage um einhundertachtzig Grad gedreht hatte.
Ich entlud die Knarre und stand vor ihm. Er war bis an die Rückwand zurückgewichen, spie dicken Speichel aus und rieb die getroffene Stelle. Ich glaubte nicht, dass er schon genug hatte. Dieser Mann steckte so voller Zorn, dass er an nichts anderes mehr denken konnte, als an seinen verdammten Plan.
»Hören Sie zu«, sagte ich zu ihm. »Sie werden hier nicht gewinnen können. Das ist…«
Ein Schrei presste mir die nächsten Worte zurück in die Kehle. Der Schrei war zugleich ein Startsignal für ihn. Den Kopf hatte er eingezogen, als er auf mich zulief und dabei leicht schwankte, weil er den ersten Treffer noch nicht richtig verdaut hatte.
Fast tat es mir schon ein wenig Leid, das Gewehr wieder einsetzen zu müssen. Doch auf eine andere Art und Weise war er einfach nicht zur Vernunft zu bringen.
Ich ließ ihn in den Kolben hineinrennen. Dabei brauchte ich nicht mal zuzuschlagen. Es klappte auch so. Er wurde gestoppt und der Schlag riss seinen Kopf nach hinten. Ich sah, dass sich seine Augen weiteten und bekam auch mit, dass er noch etwas sagen wollte, aber der zweite Schlag hatte ausgereicht.
Der Mann kam keinen Schritt mehr weiter. Er drehte sich auf der Stelle und brach zusammen.
Das Gewehr schleuderte ich tiefer in den Stall hinein. Dann leuchtete ich den Mann mit meiner kleinen Lampe an und stellte fest, dass er noch einige Zeit so liegen bleiben würde. So leicht erwachte er nicht, und ich brauchte auch keine Angst zu haben, dass er hier im Stall erfror, denn es war wärmer als draußen.
Was ich von ihm erfahren hatte, war schon interessant. Die Schlinge um Germaine und ihren Sohn hatte sich nicht nur von einer Seite zugezogen, sondern auch von einer zweiten. Ob man die Schattengestalten im Licht als gefährlich oder tödlich einstufen sollte, darüber war ich mir noch nicht im Klaren. Die Dorfbewohner selbst waren im Moment wichtiger, denn sie wollten die Ducs aus dem Ort treiben, weil sie ihnen die Schuld an ihrer Misere zuschrieben.
Hier hatte ich nichts mehr zu suchen. Doch ich wusste jetzt, dass Germaines Haus von verschiedenen Seiten unter Beobachtung gehalten wurde. Als Folge davon würde ich mich ebenfalls nicht mehr so frei bewegen können.
Im Dezember wird es schnell dunkel und wenn ich auf die Uhr schaute, musste das Tageslicht bereits dabei sein, sich zurückzuziehen. Die Dämmerung war dann ihre Zeit. Dann würden sie zuschlagen und die Menschen aus ihrem Haus treiben.
Das musste verhindert werden. Ich hoffte nur, dass es ohne Waffengewalt möglich war.
Ich ging zur Tür der Hütte und zog sie auf. Diesmal war ich verdammt auf der Hut, doch der erste Blick nach draußen belehrte mich eines Besseren.
Es gab keinen, der auf mich wartete und mich mit einem Gewehr bedrohte. Aber es hatte sich trotzdem etwas verändert.
Schon tagsüber war der Himmel grau gewesen. Allerdings heller grau als jetzt. In die Wolken hinein hatten sich die Schatten der Dämmerung geschoben, und in den Häusern brannten bereits die Lichter. Von meiner Position aus gesehen wirkte Kiltegan fast wie ein verwunschenes Dorf, das auch ein Motiv für eine Postkarte abgegeben hätte, aber ich wusste auch, dass der äußere Eindruck täuschte, denn hinter den Fassaden hatten sich Wut und Hass aufgebaut. Da wurden die Menschen nicht zu Brüdern, sondern zu Feinden gegen die Schwächeren.
Und noch etwas fiel mir am Himmel auf.
Es war das Licht!
Es lag nicht frei. Es versteckte sich noch hinter den Wolken, aber es war trotzdem zu sehen, denn jenseits des Graus hatte sich eine helle Wand aufgebaut.
War sie normal?
Ich glaubte nicht daran und merkte, dass bei mir eine Gänsehaut entstand.
Wenn mich nicht alles täuschte, dann lauerten die Besucher bereits auf ihre
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