1244 - Die Besucher
mit den fremden Mächten. Eine andere Lösung kam für sie nicht in Frage.
»Hörst du mich?«
Germaine schwieg. Sie hielt die Augen leicht verdreht. Der Kopf war zur Seite gesunken. Die Lippen zuckten, doch sie gab keine Antwort.
»Was ist denn, Germaine? Bitte, du musst reden! Nur so kann ich dir helfen.«
Germaine zuckte leicht zusammen. So ähnlich, als wäre sie aus einem tiefen Schlaf erwacht. Jetzt nahm sie auch ihre Freundin wieder wahr und die Antwort drang als Flüstern über ihre Lippen.
»Sie sind da, Max. Ja, sie sind gekommen. Sie warten nur noch ab, verstehst du?«
»Und woher weißt du das?«
»Weil ich sie in mir spüre. Sie haben Kontakt mit mir aufgenommen. Sie stecken in meinem Innern fest. Sie haben mich übernommen. Es ist einfach grauenhaft, aber daran kann ich nichts machen.«
Maxine glaubte ihr jedes Wort, aber sie wollte es genauer wissen. »Wie nehmen sie mit dir Kontakt auf, Germaine? Können sie denn mit dir sprechen?«
»Anders.«
»Wie anders?«
»Sie toben durch mein Gehirn. Sie verschicken Botschaften wie Blitze.«
»Kannst du sie verstehen?«
»Nein, das kann ich nicht. Aber ich weiß, dass sie mich meinen und das ist schlimm.«
»Was sollst du tun?«
»Keine Ahnung. Warten, glaube ich.«
»Und was ist mit Kevin? Haben sie von ihm etwas gesagt? Los, du musst es…«
»Das weiß ich nicht«, murmelte sie. »Ich weiß wirklich nicht, was mit Kevin ist. Sie haben nichts erwähnt. Kevin ist… ich will ihn doch behalten.« Sie begann zu weinen. »Er soll nicht weg. Er gehört nicht zu ihnen. Nein, das nicht…« Sie schlug die Hände vors Gesicht und beugte den Oberkörper vor.
In der folgenden Zeit war Germaine Duc nicht mehr in der Lage, auf eine Frage zu antworten.
Maxine trat zwei kleine Schritte zurück. Sie schüttelte leicht den Kopf, denn die Reaktion der Freundin hatte sie ratlos gemacht.
Wie verloren stand sie da und starrte ins Leere. Das Problem mit Carlotta hatte sie gelöst. Aber jetzt fü hlte sie sich völlig allein und verloren.
Und John Sinclair meldete sich noch immer nicht…
***
Mit kaum hörbaren Schritten hatte Kevin den Sarg zwei Mal umgangen. In seinem jungen Gesicht bewegte sich nichts, als er auf die tote Frau schaute. Die alte Mrs. McCasey war als Greisin gestorben. Mit fast 90 Jahren, und so sah sie auch aus.
Zwar hatte man ihr die Augen geschlossen, so dass den Jungen der Totenblick nicht mehr traf, aber der Mund stand rätselhafterweise offen. Das Gebiss war daraus verschwunden, so hatten die Lippen keinen Halt mehr bekommen und waren zur Seite geglitten.
Sie trug kein Leichenhemd, sondern war in einem alten Kostüm begraben worden, das sie so liebte. Sie hatte es immer am Sonntag angezogen, wenn sie zur Kirche ging, und genau in dieser Kleidung hatte man sie in den Sarg gelegt. Sogar die Schuhe mit den klobigen Absätzen hatte man ihr angezogen.
Nie zuvor hatte Kevin eine Leiche aus der Nähe gesehen.
Jetzt konnte er sie genau betrachten, aber es bewegte sich nichts in seinem Gesicht. Auch die Augen blieben starr, und er atmete nur durch seinen halb geöffneten Mund.
Die anderen Gegenstände sah er nicht. Es waren hier alte Feuerwehrspritzen abgestellt worden. Ebenso wie ineinander geschobene Leitern. Früher hatte es im Ort noch eine freiwillige Feuerwehr gegeben, aber das war vorbei. Wenn es jetzt brannte, kamen die Männer aus einem Nachbarort, wo sie für ein recht großes Gebiet verantwortlich waren.
Die Leiche lag da wie eine schaurige Puppe. Man hatte sie auch nicht zurechtgemacht und geschminkt. In ihrem Gesicht gab es keine Farbe, sondern nur die blasse Haut, auf der jetzt die bräunlichen Altersflecken besonders stark hervortraten.
Ein drittes Mal umrundete der Junge den Sarg nicht. An seinem Fußende blieb er plötzlich stehen, als hätte er einen Befehl zum Stoppen bekommen.
Etwas hatte ihn irritiert. Er schaute über den Sarg hinweg, doch da war zunächst nichts zu sehen außer der Innenwand des alten Steinhauses. Dennoch spürte er, dass jemand oder etwas in der Nähe war, denn er nahm die Botschaft mit jeder Faser seiner Nerven auf.
Der Junge kannte das Spiel. In seinen Träumen hatte er es oft genug erlebt. Da waren sie zu ihm gekommen, und sein Körper hatte sich immer angefühlt wie mit elektrischem Strom gefüllt.
Das war und blieb auch in der Leichenhalle so.
Das Kribbeln rann von den Schultern her bis in seine Finge rspitzen hinein und breitete sich dort als ein warmes Gefühl aus.
Es war eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher