1248 - Der Gladiator
schleppte sich schwerfällig über den Boden hinweg. Sein ausgemergelter Körper war mit Wasser bedeckt und schimmerte ölig. Das Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. Die Augen sahen müde aus. Er schwankte, drehte sich um die eigene Achse und blieb dann stehen, als er den anderen auf sich zukommen sah.
Es war eine böse Gestalt, der das Töten Spaß machte. Wieder lag ein Pfeil auf der Sehne, und diesmal zielte er genau.
Dann surrte der Pfeil los - und traf!
Zum ersten Mal wurde der Gejagte erwischt. Die Spitze bohrte sich in seine rechte Schulter. Der Mann knickte ein.
Breitbeinig blieb er noch für einen Moment in dieser etwas grotesken Haltung stehen, die rechte Schulter nach rechts gedreht, weil in ihr der Pfeil steckte.
Der zweite Pfeil zischte bereits heran - und traf ihn in die linke Schulter, als sollte durch diesen Treffer das Gleichgewicht wiederhergestellt werden.
Es war das Aus für ihn. Es gelang ihm nicht mehr, stehen zu bleiben. Durch seinen Körper mussten irrsinnige Schmerzen toben. Er schrie auch, doch das hörten weder Jane noch Bill, denn diese Schreie gingen im Toben der Zuschauer unter.
Der Gejagte fiel auf den Rücken, und der Jäger legte erneut einen Pfeil auf. Er ging noch einen Schritt näher, senkte den Bogen und zielte dabei genau.
Er ließ sich Zeit, um auch den Zuschauern ihren Spaß zu lassen. Die waren völlig verrückt geworden. Sie saßen nicht mehr, standen jetzt, johlten und klatschten oder trampelten.
So war es schon immer gewesen. Das Volk wollte Blut sehen, und der Gladiator oder Krieger enttäuschte sie nicht. Ihn kümmerte nicht das Flehen des Verletzten, er zielte genau und ließ den Pfeil fliegen.
Volltreffer!
Zugleich war es auch für den Schützen der letzte Pfeil gewesen, den er aus dem Köcher geholt hatte.
Der lange Schaft ragte aus dem Kopf hervor, und der Getroffene bewegte sich nicht mehr. Ein paar Blutflecken breiteten sich um die Wunden herum aus.
Der Mörder aber ließ sich feiern. Stolz wie ein Pfau schritt er durch die Arena, hielt seinen Bogen hoch, verbeugte sich ein paar Mal und verschwand schließlich in einem Gang unter einer Tribüne.
Zurück blieben Jane und Bill. Sie schauten sich an, sie waren sprachlos geworden.
Die Schreie gellten ihnen nicht mehr entgegen. Jetzt hörten sie nur noch die Stimmen der Menschen, die zu einem brummenden Gemurmel geworden waren, das sich allerdings auch immer mehr zurückzog. Ebenso wie die Szenerie allmählich verblasste.
Das Zeitloch war dabei, sich zu schließen, und die normale Welt kam wieder zum Vorschein.
Jane Collins atmete tief aus. Sie ging zur Seite und bewegte sich kopfschüttelnd im Kreis. »Das kann nicht wahr sein, Bill. Das ist Wahnsinn! Haben wir das wirklich erlebt?«
»Ja, das haben wir.«
»Und jetzt?«
»Was meinst du?«
Sie stand vor ihm und ballte die Hände. »Verdammt noch mal, da muss es eine Erklärung geben. Was ist hier geschehen? Was haben wir erlebt?«
»Ich würde es als ein Zeitphänomen betrachten, Jane. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.«
Sie runzelte die Stirn und dachte nach. »Zeitphänomen«, murmelte sie, »ja, das ist wohl der Oberbegriff. Die Verga ngenheit ist in die Gegenwart eingetaucht. Das haben wir gesehen, und genau das hat auch Bailey gewusst. Das wollte er mir sagen. Aber er kam nicht mehr dazu. Man hat ihn getötet, weil die andere Seite nicht wollte, dass bestimmte Menschen damit konfrontiert werden.« Sie legte eine kurze Pause ein, um nachzudenken. »Aber wer ist die andere Seite? Durch wen ist sie personalisiert worden? Kannst du mir das sagen, Bill?«
»Moment mal, Jane. Gehst du davon aus, dass es jemanden gibt, der darüber die Kontrolle hat?«
»Ja, davon gehe ich aus. Das muss ich einfach. Das passiert doch nicht einfach so. Da muss es einen geben, der im Hintergrund sitzt und alles lenkt.«
»Das kann sein.«
Sie deutete auf die Tür. »Und was ist mit den Gestalten, die wir im Kanal gesehen haben? Kannst du mir das sagen, Bill? Was ist mit denen los? Waren das auch nur Schattenwesen wie die Kämpfer hier oder die Gaffer auf den Tribünen?«
»Das glaube ich wiederum nicht. Die waren echt - leider.«
»Ja, Bill, sie waren echt. Und weil das der Fall ist, muss es der anderen Seite gelungen sein, einen Weg zu finden, wie man die Vergangenheit überwindet und in die Gegenwart eindringt. Sie hat es geschafft, diesen Weg zu finden, und wir stehen da und können uns den Kopf zerbrechen.«
»Das schon«, gab der Reporter zu.
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