1249 - Bibliothek des Grauens
festhielten und es genau in diesem Moment zielsicher fallen ließen.
Es hätte mich erwischt, wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre. Dabei bewegte ich zwangsläufig die Lampe, sodass der Strahl wie ein Blitz von einer Seite zur anderen wischte, und als ich ihn wieder nach oben richtete, hatte ich Pech.
Es gab das Wesen nicht mehr!
Innerhalb weniger Sekunden war es verschwunden, aber es konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Es hatte auch nicht den normalen Ausgang genommen, das hätte ich sehen müssen.
Um die Wahrheit herauszufinden, ging ich tiefer in den Raum hinein und musste dabei über einige Bücher hinwegsteigen, die mir im Weg lagen. Dann leuchtete ich wieder gegen die Decke und war ebenfalls enttäuscht, denn eine Luke oder eine Öffnung gab es leider nicht. Sie war und blieb geschlossen.
Ich verschluckte eine Verwünschung und fühlte mich wirklich an der Nase herumgeführt. Es war zum Heulen, aber ich hatte auch einen kleinen Erfolg erzielt.
Ich wusste, dass es ein Wesen gab, das sich in diesem Haus aufhielt. Das war kein Mensch. Aber war es ein Monster? Ein Engel? Oder war es einfach nur ein Mörder, der Sir Ronald Asher auf eine so schlimme Art und Weise getötet hatte?
Das traf für mich eher zu. Keiner hatte dem Jungen geglaubt, ich wusste es besser. Aber es war auch schwer, dies den anderen beizubringen.
Auf dem Boden lagen mindestens 20 Bücher. Zwei waren auf den Tisch gefallen. Ich klappte sie zu und dachte daran, aufzuräumen und die Bücher zumindest zusammenzulegen, bevor ich mich auf den Weg machte.
Es kam anders.
Zuerst hörte ich die Schritte. Als sie stoppten, klang die Stimme auf. »Was ist denn hier los?«
In der offenen Tür stand Nic Trenton, schaute verwundert und schüttelte den Kopf.
»Das sehen Sie ja.«
»Ach.« Er betrat den Raum. »Sind Sie das gewesen, John? Haben Sie in einem Anfall von Wut…«
»Sehe ich so aus?«
»Eigentlich nicht.«
»Genau, Nic, ich bin es auch nicht gewesen.«
»Tja, dann…« Er rieb sein Kinn. »Ich habe oben bei mir das Poltern gehört. Da bin ich gekommen, um zu sehen, was los ist. Hier hat wohl jemand die Bücher nicht gemocht.«
»Scheint so zu sein.«
»Und was ist tatsächlich passiert?«, fragte er.
»Wenn ich das wüsste…«
»Sie waren es nicht?«
»Nein, das sagte ich schon.«
»Haben Sie denn jemanden gesehen, John?«
Natürlich hatte ich jemanden gesehen, aber das brauchte Nic Trenton nicht zu wissen. »Leider nicht«, gab ich mit leiser Stimme zu. »Ich kann es mir auch nicht erklären. Ich hörte nur das Poltern, schaute nach und sah die Bescherung.«
Trenton schaute mich ziemlich misstrauisch an. »Wenn Sie keinen gesehen haben, kann es nur ein Geist gewesen sein.«
»Wahrscheinlich«, antwortete ich locker.
Trenton nahm meine Antwort ernst. »Mal ehrlich, John, glauben Sie an Geister?«
Ich runzelte die Stirn, als ich ihn anschaute. »Glauben Sie daran, Nic?«
»Das gilt nicht. Ich habe Sie zuerst gefragt.«
»Nein, eigentlich glaube ich nicht daran. Doch mir scheint, als wären Sie anderer Meinung.«
»Das bin ich auch.«
»Geister?«, fragte ich und schauspielerte perfekt, wie ich fand.
»Ja, Geister. Sie glauben gar nicht, welche Geister um uns herum sind. Nichts vergeht. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Man geht nur nach dem Tod in einen anderen Zustand über. So sind Geister für mich nicht ausgeschlossen, sage ich mal.«
»Haben Sie denn schon Erfahrungen mit Geistern sammeln können? Ich meine, ich bin davon unbeleckt und würde mich gern von Ihnen etwas aufklären lassen.«
Trenton ging auf mich zu. Er nickte dabei. Ich sah, dass sich sein Gesicht verdüsterte. Um ihn herum schien sich ein Schatten aufzubauen. »Ja, ich spüre sie. Sie sind um mich herum. Ich kann sie fühlen. Es sind die Erben der Toten.«
»Können Sie da konkreter werden?«
Nic wartete mit seiner Antwort und strich zunächst seine Haare zurück. »Sie sind immer um mich. Ich spüre sie. Oft genug quälen sie mich. Man muss sie erleben, um überhaupt darüber sprechen zu können. Es ist grauenhaft und ich…«
»Welche Geister meinen Sie denn?«
»Die Geister der Mörder!«, zischelte er mir zu. »Genau sie sind es. Grausam…«
»Bitte, das verstehe ich nicht. Ich habe in Ihrem Totenbuch die Bilder der Killer gesehen. Die sahen mir nicht eben aus wie Geister, Nic.«
Er krallte seine Hände in die Haare. Dabei verzog sich sein Gesicht, und er blickte zu Boden. »Nicht alle sitzen hinter Gittern. Es
Weitere Kostenlose Bücher