1249 - Bibliothek des Grauens
rätselhaften Stimmen, die mich begleitet hatten. Jetzt hörte ich sie nicht, aber ich dachte über sie nach und fragte mich, ob es tatsächlich die Stimmen der Totengeister gewesen waren, von denen Trenton gesprochen hatte.
Sicher war ich mir da nicht. Ich schloss auch nichts aus und ging weiter.
Die Richtung kannte ich. Außerdem war es nicht völlig finster. Das letzte Tagesgrau vermischte sich mit dem des Nebels, der wie ein nie abreißendes feuchtes Tuch mein Gesicht berührte und bereits Tropfen auf der Haut hinterlassen hatte.
Dass Familiengruften auf den Grundstücken der noch Lebenden stehen, kommt öfter vor. Allerdings weniger in diesem Teil des Landes, sondern mehr in den einsamen und menschenarmen Provinzen und auch in Schottland und in Irland.
Meine Füße schleiften durch das bräunliche Wintergras.
Schneeflecken sah ich keine mehr. Alles war getaut, denn die Anzeige des Thermometers bewegte sich über Null.
Ich hatte mir die Trauerweiden gemerkt. Auch im Nebel waren sie zu finden, und gar nicht mal weit entfernt reckten sie sich in die Höhe wie übergroße Pilze.
Bevor ich die letzten Schritte hinter mich brachte, schaute ich mich um. Es gab keinen direkten Grund. Ich spürte einfach nur den Drang, es zu tun, aber es war niemand hinter mir, der mich verfolgt hätte. Keine Toten hatten ihre Gräber verlassen, und auch die Lebenden waren mir nicht auf den Fersen.
Die Trauerweiden hatten den äußeren Ring um die Grabstätte gezogen. Es gab noch einen zweiten, einen inneren, doch der wurde von einem Gitter gebildet, das wie ein Viereck die kleine Gruft einfriedete.
Ich konnte nicht über die feuchten Stäbe hinwegschauen, sondern musste mich mit den Lücken begnügen.
Es existierte dort tatsächlich eine Gruft. Ein kleines Haus mit einem spitzen Dach und zwei Säulen rechts und links neben der bronzefarbenen Tür. Davor stand eine leicht schräg angebrachte Grabplatte auf dem Boden, in die die Namen der verstorbenen Familienmitglieder eingemeißelt worden waren. Die Platte war zu weit von mir entfernt, als dass ich die Namen hätte lesen können. Außerdem waren sie unwichtig für mich. Es gab nicht nur die eine große Grabplatte. Rechts und links davon zeichneten sich weitere Gräber ab in einer normalen Größe, wie man sie auf jedem Friedhof fand.
Auf dem Dach des Totenhauses reckte sich ein kleines Kreuz aus Metall in die Höhe, und die lang herunterhängenden Zweige der Trauerweiden berührten nicht nur meinen Nacken und die Schultern, sondern auch das Dach des steinernen und bleichen Totenhauses.
Hier lagen sie also. Hier waren die Toten begraben, und sie würden nicht aus ihren Gräbern steigen, um als Zombies den Park unsicher zu machen.
Es war dunkler geworden. Ob der Nebel an Dichte zugenommen hatte, erkannte ich nicht. Ich stand nur einsam vor den Gräbern und dachte daran, dass ich in dieser Haltung eine gute Spukgestalt abgab.
Plötzlich waren sie wieder da!
Der Nebel schien die Stimmen herangetragen zu haben, die sich in meinen Ohren festsetzten. Ich hörte das Wispern, das Lachen, die Häme und den Hass. Sie zischelten, sie waren eins mit dem Nebel, und ich spürte förmlich, dass sie nach einer Möglichkeit suchten, mich anzugreifen.
Ich trug unter meiner Jacke ein braunes Pulloverhemd, das sich aufknöpfen ließ. Das tat ich. Drei Knöpfe musste ich öffnen, um an die Kette zu gelangen, an der mein Kreuz hing.
Die Stimmen umwirbelten mich weiter - und zogen sich zurück, als mein Kreuz freilag.
Ich hörte sie noch schreien. Wut drang aus ihren kreischenden Stimmen hervor. Sie hassten das Kreuz. Sie waren böse und standen auf der anderen Seite.
Es war wieder still.
Ich umschlang das Kreuz mit der Faust, sodass es nicht mehr zu sehen war, aber die Geister kehrten nicht mehr zurück. Ich stand wieder allein vor der Gruft.
In diesem Augenblick ertönte die Melodie des Handys.
Das musste Suko sein, der versprochen hatte, mich anzurufen.
An ihn hatte ich in den letzten Minuten nicht gedacht.
»Ah, du lebst noch?«
»Ja, Unkraut vergeht nicht.«
»Bist du wieder im Haus?«
»Nein, ich stehe vor einer Gruft.«
»Genau da gehörst du auch hin.«
Ich kam zur Sache. »Was hast du herausgefunden?«
»Tja, das ist nicht so leicht zu sagen. Zum einen muss ich dir gratulieren, denn dieser Dominic Trenton ist wirklich eine Koryphäe.«
»Wegen seines Buches?«
»Ja. Er ist ein Bestseller in Fachkreisen, daran gibt es nichts zu rütteln. Trenton wird auch von den
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