1250 - Absalom
glaube ich kaum und…«
»Nein, nein, John. Ich weiß nur nicht, ob Sie der richtige Mann sind, dem ich vertrauen kann. Ich bin misstrauisch geworden. Das ist leider so.«
Die Worte nahm ich nicht auf die leichte Schulter. »Das kann ich mir vorstellen. Sie haben auch etwas angedeutet. Deshalb möchte ich Sie direkt fragen. Fürchten Sie sich vor Feinden?«
»Das kann sein.«
»Vor welchen?«
Julie schüttelte den Kopf. »Bitte nicht. Ich kann und will nicht darüber reden.«
»Dann haben Sie doch kein Vertrauen.«
Tief holte sie Luft. »John, das hat damit nichts zu tun. Es ist noch nicht die Zeit.«
»Akzeptiert. Nur kann ich mir denken, dass die Zeit drängt. Dass sich etwas zusammenballt und schon wie eine dunkle Wolke über Ihrem Kopf schwebt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das werde ich vorerst für mich behalten. So viel möchte ich Ihnen sagen, Julie. Mein Erscheinen hier basiert nicht auf einem Zufall. Auch ich bin auf der Suche. Ich denke, dass wir uns gegenseitig unterstützen können und sogar müssen, wenn es hart auf hart kommt. Jetzt kann ich Sie nur bitten, mir Vertrauen zu schenken.«
Aus ihren dunklen Augen blickte mich Julie Ritter recht lange an. Sie dachte nach, das war ihr anzusehen. Möglicherweise focht sie sogar einen innerlichen Kampf aus, und ich war froh, als sie mir zunickte.
»Einverstanden?«, fragte ich sicherheitshalber nach.
»Ja«, sagte sie.
Ich streckte ihr meine Hand hin. »Schlagen Sie ein, Julie.«
Sie zögerte noch. Holte tief Atem, »Ich weiß selbst nicht, weshalb ich Ihnen vertraue, John. Kann sein, dass ich einen Zeitpunkt erreicht habe, wo ich das einfach mal tun muss, weil ich allein nicht mehr weiterkomme. Ich hoffe nur, dass ich mich nicht geirrt habe.«
»Bestimmt nicht.«
Sie schlug ein.
Der Händedruck war fest. In diesem Augenblick hatten wir beide einen Pakt geschlossen…
***
Als sich unsere Hände wieder gelöst hatten, da ging es ihr besser. Sie fühlte sich erleichtert, das sah ich ihr an, und ich glaubte nicht, dass ich mich irrte.
Trotzdem drehte sie sich noch einmal um und schaute zurück zur Treppe, deren Stufen im Dämmerschein verschwanden.
»Erwarten Sie jemand?«
»Nein, im Moment nicht. Und ich möchte - auch keinen anderen Menschen sehen.«
»Das ist löblich.«
Die Antwort war ihr wohl zu lässig gesprochen worden, denn sie drehte den Kopf zur Seite, aber sie blickte dabei wieder den Altar an und konzentrierte sich auf das herausragende Bild in der Mitte, das Lamm Gottes.
Ich trat näher an Julie heran. Unsere Schultern berührten sich, als ich leise fragte: »Wie ich Sie einschätze, haben Sie der Gruppe nicht alles erzählt. Welches Geheimnis verbirgt dieses Bild noch?«
»Eins?«, flüsterte sie. »Nein, es sind mehrere. Es sind verschlüsselte Botschaften, an die nur wenige Menschen glauben. Denn nicht viele haben das nötige Wissen.«
»Das kann ich mir denken, Julie. Ich besitze es übrigens auch nicht und bin deshalb auf Sie angewiesen.«
»Danke.«
»Was muss ich noch wissen?«
Sie ließ sich wieder Zeit. Sie dachte nach, suchte nach den richtigen Worten und sagte schließlich:
»Wie so oft in der Welt und wie schon zu allen Zeiten liegen Gut und Böse dicht nebeneinander. Der Dualismus ist einfach da, und man muss nur den richtigen Blick dafür bekommen, um dies zu erkennen. Schauen Sie sich die Hauptpersonen auf diesem Bild an.«
»Das habe ich getan.«
»Und?«
»Ich denke, dass ich Maria Magdalena erkannt habe. Das ist die Frau, die das Lämmchen hält, das aussieht, als würde es aus ihrem Schoß springen.«
»Ja, John, so kann man es deuten.«
»Aber zu mehr bin ich nicht fähig. Sorry, ich hätte mich intensiver mit dem Bild beschäftigen müssen.«
»Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Ich werde es Ihnen schon erklären, so weit wie möglich.«
»Toll.«
»Keine voreiligen Schlüsse, John. Warten Sie erst mal ab.« Sie räusperte sich und sagte mit halblauter Stimme: »Sie sehen ja nicht nur die Frau mit dem kleinen Lamm auf dem Bild, es gibt ja noch mehrere Personen. Einen Mönch, Engel, einen Kreuzritter, ein Orientale und auch einen Mann mit einem Hirtenstab.«
»Ja«, gab ich zögernd zu, »das ist mir schon aufgefallen.«
»Aber Ihnen sagen die Namen nichts?«
»Nein.«
»Mir schon. Ob es den Tatsachen entspricht, weiß ich nicht. Aber es würde passen, um das Geheimnis des Bildes ins Licht zu rücken. Man muss nur etwas nachdenken und auch bereit sein, Gräben zu überspringen. Dann
Weitere Kostenlose Bücher