1255 - Böser schöner Engel
Leibwächter im Hintergrund nicht zu beunruhigen, nahm ich wieder meinen Platz ein. »In ihm muss noch ein Teil der Kraft des heilenden Engels stecken.«
»Und die steht deinem Kreuz entgegen.«
»Das deutet darauf hin.«
»Dann ist er nicht so gesund wie er es selbst gedacht hat, John. Da kommt noch was nach. Körperlich sehe ich keinen Schaden, aber was in ihm steckt, wissen wir nicht.«
»Jedenfalls steht diese Tamara nicht unbedingt auf unserer Seite«, fasste ich zusammen.
»Was ich mir gedacht hatte. Sie heilt, und ein anderer Mensch muss dafür sterben.«
Sandor Maremkin hatte sich auch in den vergangenen Sekunden nicht auf seinem Sessel bewegt. Er saß dort wie in Beton gegossen. Nichts bewegte sich an ihm, und den linken Arm hielt er noch immer halb angehoben und angewinkelt.
Bis plötzlich seine Lippen zuckten. Die Bewegung gefiel mir gar nicht. Man konnte ihr entnehmen, dass er unter Schmerzen litt und die Bewegung eine Folge dessen war.
Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Er öffnete den Mund. Zuerst sahen wir den blassen Speichel auf seinen Lippen schimmern. Dann drang aus dem Spalt ein Stöhnen hervor, das sich alles andere als wohlig anhörte. Auch der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich. Es zeigte an, welche Schmerzen ihn durchzogen.
Das Stöhnen nahm an Lautstärke zu. Zugleich zuckte sein linker Arm in die Höhe, fiel wieder nach unten, und das Stöhnen nahm an Lautstärke noch mehr zu.
Die beiden Leibwächter waren nicht taub. Trotz ihrer Größe huschten sie in unsere Nähe. Sie stellten sich so auf, dass sie ihren Chef von zwei Seiten anschauen konnten, entdeckten keine Verletzung bei ihm und wollten von Karina wissen, was los war.
Sie antwortete ihnen in der Heimatsprache. Was sie gesagt hatte, war für mich nicht zu verstehen gewesen, aber es schien sie einigermaßen zu beruhigen, denn sie zogen ihre Waffen nicht und glotzten starr auf ihren im Sessel sitzenden Chef.
Noch saß Maremkin auf seinem Platz und in der ursprünglichen Haltung. Das würde nicht mehr lange so sein, denn sein Körper zuckte hin und her. Wären die Lehnen an den Seiten nicht so hoch gewesen, er wäre über eine hinweg gefallen.
Ein Aufpasser sprang hin und hielt ihn. Der zweite zog seine Waffe. Er zielte auf mich. Ich kümmerte mich nicht darum, denn was mit Sandor Maremkin passierte, war viel interessanter, aber auch schauriger, und es wurde grauenhaft.
Aus Maremkins Mund drangen tiefe stöhnende Laute, die nur ein Mensch ausstoßen konnte, wenn er unter starken Schmerzen litt. Sie quälten ihn, sie drangen durch seinen Körper wie Feuerzungen. Auf seiner Stirn erschien Schweiß, und er ruckte im Sessel hin und her.
Karina wurde angeschrieen. Sie schrie ebenso zurück.
»Was war denn?«, fragte ich.
»Sie geben uns die Schuld.«
Sandor Maremkin saß plötzlich wieder starr auf seinem Platz. Die Augen hielt er weit offen, und sein Blick konnte mir einfach nicht gefallen. Er war so starr geworden und schon mit dem einer Leiche zu vergleichen.
Dann erwischte auch uns das Grauen. Es begann an seiner linken Hand und zuerst an den Fingern.
Zusammen mit den Nägeln begannen sie sich zu verfärben. Zuerst war es wie ein Schatten, nur leicht angegraut. Das blieb nicht so, denn das Grau bewegte sich weiter und stieg höher und höher. Dabei glitt es über die Hand hinweg, erreichte das Gelenk und war nun dabei, den Arm zu erreichen.
Die Hand war nicht mehr grau, sondern fast schwarz geworden. Angefault, und ich wartete nur darauf, bis sie abfiel wie bei einem pestkranken Menschen…
***
Der Engel hatte gesprochen, und beide Frauen hatten Tamaras letzte Worte gehört.
Aber beide glaubten noch, sich verhört zu haben. Sie reagierten unterschiedlich. Während die Ärztin nur den Kopf schüttelte, konnte Svetlana ein scharfes Lachen nicht unterdrücken. Nur klang es wenig fröhlich. Es drang mehr als harter Stoß aus ihrem Mund.
Tamara blieb gelassen. Sie stand auf dem Fleck. Nur die hellen Augen bewegten sich, sodass sie mal die Ärztin und dann wieder die Mutter anschaute.
Jamina saß auf ihrem Bett. Sie hatte die Hände gefaltet und wirkte wie eine Betende. Obwohl ihr Mund offen stand, war kein Wort zu hören.
»Habt ihr mich nicht verstanden?«, unterbrach Tamara das lastende Schweigen im Zimmer.
Svetlana fing sich als Erste. »Doch«, flüsterte sie, »das haben wir. Das haben wir wirklich. Du hast etwas gesagt…« Sie wollte es wiederholen, aber sie brachte es nicht fertig. Das Schreckliche
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