126 - Der Vampir vom roten Mond
Bahadur?" fragte Unga den bärtigen Bergbewohner.
„Eine Stunde etwa", brüllte der zurück.
Unga hatte Mühe, ihn überhaupt zu verstehen. Er nahm Reenas Gepäck und stützte sie. Sie hielt sich gut; aber sie war doch so erschöpft, daß sie mit den Schneeschuhen nicht mehr richtig zurechtkam und ein paarmal strauchelte. Hätte Unga sie nicht gestützt, wäre sie hingefallen.
Es dauerte weit länger als eine Stunde, bis Unga und die anderen endlich das Dorf Blobzang vor sich sahen. Es war schon nach Mitternacht; nur wenige Lichter brannten noch.
Das Gelände war ständig angestiegen. Blobzang, ein kleines Nest mit zwei-, dreihundert Einwohnern, lag auf einer Hochebene. Dahinter ragten Berge auf, die jetzt von der Dunkelheit verschluckt wurden. Dies war die Tarai-Region mit den südlichen Vorbergen des mächtigen Himalaja-Massivs. Hinter den Vorbergen erhob sich der Himalaja mit seinen Sieben- und Achttausendern. Und hinter Himalaja und Transhimalaja lag Tibet, das Dach der Welt.
Die vier Menschen und die beiden Dämonen stapften auf das kleine Dorf zu. Die Häuser waren aus Holz oder Stein errichtet, mit spitzgiebeligen Dächern, die die Schneelasten des Winters nicht tragen konnten. Auf einer kleinen Anhöhe stand ein Pagodentempel. Am Eingang des Dorfes sah Unga ein paar vom Wind zerrissene Gebetsfahnen.
Bahadur Bhang, der bärtige Führer, brachte die kleine Gruppe zum größten Haus des Dorfes, einem massigen Steingebäude mit schießschartenähnlichen Fenstern und einem Innenhof. Trübes Licht fiel aus den Fenstern.
„Hier sind wir", sagte Bahadur Bhang.
Er wollte davongehen, aber Galahad hielt ihn zurück. Der Bärtige und der Dämon redeten aufeinander ein. Sie sprachen einen Dialekt des Nepali, der Amtssprache Nepals, den Unga nicht verstand. Galahad wollte etwas von Bahadur Bhang, was dieser zuerst entschieden ablehnte. Der hagere Inder mit dem Totenkopfgesicht stauchte ihn zusammen und richtete sich hoch und stolz auf, während der Schwarzbärtige sich etwas duckte.
Unga konnte andere Männer beurteilen. Er wußte, daß Bhang jetzt am liebsten das Gewehr von der Schulter gerissen und alle Kugeln aus dem Magazin auf Galahad abgefeuert hätte. Aber er wußte, daß er den Dämonen mit dieser Waffe nicht töten konnte, nickte schließlich und ging davon, wütend und um Fassung ringend.
Galahad grinste, und ein dämonisches Feuer leuchtete in seinen Augen.
„Wir gehen ins Haus", sagte er in vorzüglichem Englisch.
„Einen Moment noch!" wandte Unga ein. „Bring Reena und Don Chapman bereits hinein, Galahad! Ich habe mit Rana noch etwas zu bereden. Es ist mit Luguri so ausgemacht."
Der hagere Inder musterte Unga einen Augenblick erstaunt und ungläubig, nickte dann aber. Er hob Don Chapman von Ungas Marschgepäck und stützte Reena, die schauderte, aber zu erschöpft war, um allein zu gehen.
Unga nahm sein Marschgepäck ab, lehnte es an die Mauer und stellte auch das Gewehr daneben. Reena ließ sich auf der Türschwelle nieder, und Galahad zog ihr die Schneeschuhe aus. Als er seine eigenen ablegte, winkte Unga Rana zur Seite und führte sie um die Hausecke.
Ein paar Lichtbahnen zeichneten Vierecke in den Schnee. Schneeflocken wehten durch sie hindurch, und der Wind blies eiskalt. Unga zog die dicken Handschuhe aus und knöpfte den schwarzen Wolfsfellmantel, die Jacke und das Hemd auf.
Rana stand vor ihm.
„Was ist nun?" fragte sie, gleichfalls auf englisch.
Unga nahm die gnostische Gemme vom Hals, das Jadeamulett, das einen Ouroboros zeigte - eine Schlange, die sich selber in den Schwanz biß - sowie ein paar kabbalistische Schriftzeichen. Der Cro Magnon wickelte die Kette um die Faust. Sie bestand aus dünnen, aber starken Stahlgliedern.
„Hast du so etwas schon einmal gesehen?" fragte der Cro Magnon.
„Das muß eine gnostische Gemme sein", sagte die Schlangendämonin. „Was soll das bedeuten?" „Das!" sagte der Cro Magnon.
Seine Faust mit der gnostischen Gemme traf krachend Ranas Kinn.
Die Dämonin, die in der Gestalt einer schönen jungen Inderin vor Unga stand, war vollkommen überrascht. Der Cro Magnon wußte, daß er eine Kreatur der Finsternis vor sich hatte, und schonte sie nicht. Rana war kein Mensch, und sie verfügte über ganz andere Kräfte als eine zierliche junge Frau.
Sie torkelte nur einen einzigen Schritt zurück. Ranas Kiefer war gebrochen. Bevor sie noch etwas unternehmen und auch nur einen Laut von sich geben konnte, schlug Unga wieder zu. Diesmal traf die
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